Durch die pränatale Diagnostik ist die Diskussion um die Selektion „lebensunwerten Lebens“ neu entflammt. Die Idee stammt weder von braunen Nationalsozialisten, noch von roten Internationalsozialisten (Kommunisten), sondern wurde in England geboren.
Die Eugenik (das Wort bedeutet „gutes Geschlecht“) enthält im Ansatz zwei Fehler. Erstens ist die Definition von „lebensunwertem Leben“ so gut wie unmöglich. Sind Menschen mit Mukoviszidose (eine Erbkrankheit) lebensunwert? Zweitens ist der Ausdruck „rassenrein“ auf Menschen nicht anwendbar. Eine Rasse bezeichnet gezüchtete Tier- und Pflanzenpopulationen, die sich in einem oder mehreren Merkmalen gleichen. Die Weißen, Schwarzen und Asiaten sind keine Rassen im Sinn der Züchtungsbiologie.
Charles Darwin, der Schöpfer der modernen Evolutionstheorie, hatte einen Verwandten namens Francis Galton. Der hat die Idee des „Survival of the Fittest“ gründlich missverstanden. Dieser Satz, der nicht einmal von Darwin selbst stammt, wurde falsch übersetzt als „Überleben des Stärksten“. Die ideologischen Fehlschlüsse lagen darin, dass man von Rinder- und Getreiderassen auf den Menschen schloss. Die Eugeniker der ersten Stunde träumten von einem staatlichen Fortpflanzungsverbot für vermeintlich minderwertige Menschen.
Der Glaube, nur Nationalsozialisten seien Anhänger der Eugenik gewesen, ist falsch. US-Präsident Theodore Roosevelt, Ökonom John Meynard Keynes, die Frauenrechtlerinnen Marie Stopes und Margaret Sanger, Vertreter der London School of Economics, der Wiener Stadtrat und Sozialist Julius Tandler, sie alle waren Apostel von Francis Galton. Die britische Idee durchdrang weltweit alle gesellschaftlichen Schichten. Um die Wende zum 20. Jahrhundert wurde ein amerikanisches Eugenikprogramm durch die Rockefeller Stiftung und die Carnegie Institution finanziell gefördert. Auch Universitäten machten mit, wie etwa David Starr Jordan, der Präsident der Stanford University durch seine Streitschrift „Blood of a Nation“. Bis in die Dreißigerjahre erschienen weltweit zahllose Publikationen, in denen die Sterilisierung „minderwertiger“ Personen empfohlen wurde. Es gab in den USA sogar gerichtlich angeordnete Zwangssterilisierungen „biologisch unzulänglicher Menschen“. Die Rockefeller Stiftung unterstützte auch den Aufbau eines deutschen Eugenikprogramms in Form von großzügigen Spenden. Das meiste Geld ging an das Kaiser Wilhelm Institut für Anthropologie, wo ein gewisser Dr. Josef Mengele als Assistent arbeitete. Mengele wurde später SS-Arzt und setzte die in England entstandene Pseudowissenschaft der Eugenik in den Vernichtungslagern in die Tat um.