Einige Leser rieben sich zur Jahreswende die Augen. Das international
renommierte Magazin „Science“ (www.sciencemag.org)
hat ausgerechnet die eineinhalb Jahrhunderte alte Evolutionsbiologie zum
„Durchbruch des Jahres 2005“ erwählt. Die Meldung von
„Science“ erschien vielen so sensationell, dass sie in Tageszeitungen,
Fachzeitschriften und in News-Tickern im Internet erwähnt wurde.
Die ersten, die staunten, waren die Biologielehrer. In den dritten Klassen
der Hauptschulen und Gymnasien ist laut Lehrplan „die Entwicklungsgeschichte
der Erde und des Lebens, einschließlich des Menschen“ zu behandeln.
In der 8. Klasse des Gymnasiums ist die chemisch-biologische Evolution
samt Genetik und Gentechnik zu unterrichten. Wie kann etwas ein Durchbruch
sein, das schon lange in den Lehrplänen steht?
Des Rätsels Lösung liegt in der Gentechnik. Der Schweizer Bakteriologe
Werner Arber wollte zu Beginn der Siebzigerjahre wissen, wie es einige
Bakterien schaffen, gegen bestimmte Viren eine nachhaltige Resistenz zu
entwickeln. Er stellte fest, dass die Bakterien bestimmte Enzyme verwenden,
um Virengene zu zerschneiden. Von dieser Entdeckung bis hin zur Fähigkeit,
mit den gefundenen Enzymen Gene zu zerschneiden und zu lesen, waren es
nur noch wenige Schritte.
Bald stellte sich heraus, welche Möglichkeiten in der neuen Technik
stecken. Man kann Bakterien dazu bringen, Medikamente zu produzieren,
man kann Verbrecher durch winzige Spuren identifizieren, und bestimmte
Krankheiten und Krankheitsrisiken früher erkennen. Die Biologen lernten
auch, die Gene von Tier- oder Pflanzenarten zu entziffern und zu vergleichen.
Die Resultate sind verblüffend. Längst vergangene Lebewesen
können nicht nur ihre versteinerten Knochen, Schalen und Zähne
hinterlassen, es finden sich auch in den Genen der Lebewesen „fossile“
Codes, mit deren Hilfe man Verwandtschaftsbeziehungen und damit die Marschrichtung
der Evolution mit hoher Präzision bestimmen kann. Als einen der Meilensteine
des Jahres 2005 bezeichnet "Science" daher die Entzifferung
des Schimpansen-Genoms. Der nächste Verwandte des Menschen steht
uns demnach noch viel näher als die Biologen bisher vermutet hatten.
Weitere aufschlussreiche Erkenntnisse über die Entwicklung des Lebens
sind in den nächsten Jahren zu erwarten.
Die Erhebung der Evolutionsbiologie zum „Durchbruch des Jahres“
ist auch ein bewusst ausgesendetes Signal an einige dubiose Gruppierungen
in den USA, die einen Kulturkampf gegen die Naturwissenschaften anstiften
wollen. Es ist eine Auseinandersetzung, die nicht zustande kommen kann,
weil die Wissenschaftsgegner schon verloren haben, bevor der Kampf überhaupt
beginnen konnte.