Neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden manchmal mit dem Begleitkommentar
"wissenschaftliches Dogma wurde gestürzt" verkündet. In dieser
kurzen Aussage befinden sich gleich zwei Fehler.
Erstens gab es nie wissenschaftliche Dogmen, und zweitens wurden wissenschaftliche
Erkenntnisse in der Geschichte nur selten umgestoßen. Ein Dogma
ist ein Glaubenssatz, der nicht hinterfragbar ist. In der altgriechischen
Sprache bedeutet "Dogma" so viel wie Lehrsatz oder Verordnung. Die neugriechische
Sprache ist direkter, "dogmatikos" bedeutet hier "engstirnig",
"unkritisch" oder "verbohrt".
Wissenschaften arbeiten mit Theorien. Sie sind Erklärungen und Anschauungen,
die man aus der Erfahrung gewinnt. Eine Wissenschaft kann eine Wahrheit
bestenfalls näherungsweise beschreiben, denn eine Theorie ist nie
vollständig. Einige Denkmodelle erwiesen sich bisher als falsch,
wie etwa die Behauptung, die Erde sei flach und liege im Zentrum des Universums.
Die meisten Theorien in den Wissenschaften wurden jedoch nicht umgestoßen
sondern erweitert. Manchmal wird der Eindruck erweckt, dass alle paar
Monate alte wissenschaftliche Theorien weggekippt werden, weil alles Neue
richtig, das Alte jedoch falsch sei, doch das ist Unsinn.
Der Grieche Archimedes fasste 100 v. Chr. die Prinzipien der Statik und
Hydrostatik (Verhalten von Flüssigkeiten) zusammen. Diese Prinzipien
sind heute genauso gültig wie vor über 2000 Jahren. Zu Beginn
des 17. Jahrhunderts dehnte der Italiener Galileo Galilei dieses Wissen
aus, indem er fallende und rollende Objekte beobachtete. Galileis Theorien
hatten die Ideen des Archimedes nicht widerlegt sondern verbessert. Isaac
Newton ging gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch weiter, als er die moderne
Physik begründete. Die Newtonsche Revolution stellte Galileis und
Archimedes’ Leistungen nicht in Frage, sondern erweiterte abermals unseren
Blick. Später kamen die Elektrizität (Faraday), die Strahlen
(Maxwell), die Relativitätstheorie (Einstein) und die Quantenphysik
(Planck, Bohr, Schrödinger u.a.) dazu. Die Quantenphysik und die
Relativitätstheorie waren jeweils wissenschaftliche Sensationen,
aber sie brachten nichts, was die Lehren der großen Männer
Archimedes, Galilei, Newton oder Faraday liquidiert hätte.
Morgen schon wird man neue Erkenntnisse gewinnen. Sie werden von den
alten Theorien wenig ausmerzen, diese aber erweitern und unser Wissen
vergrößern. Aus diesem Grunde haben endgültige Dogmen
in den Wissenschaften keinen Platz. Wegen (meist religiöser) Dogmen
wurden übrigens grausame Kriege geführt. Wissenschaftliche Theorien
waren oft ein Anlassfall für Kontroversen, niemals aber für
Kriege.
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