Über Jahrhunderte hinweg wähnte sich die Kirche im alleinigen
Besitz der Wahrheit. Nur die Inhalte der Bibel durften gelehrt werden.
Nun findet man in der Bibel eine Menge Informationen über Länder,
Tiere, Pflanzen, über menschliche Schwächen, ja sogar über
einen menschlich-eifersüchtigen Gott (Deuteronomium 6,15). Im Hochmittelalter
begannen die Menschen jedoch, sich ihres freien Geistes zu entsinnen.
Dies führte zu Entdeckungen fremder Länder und neuer Tier- und
Pflanzenarten, die nicht in der Bibel verzeichnet waren. Einer der ersten
Naturforscher, der Mönch und "Doctor mirabilis" Roger Bacon, wurde
prompt von der Inquisition inhaftiert und gefoltert.
Das Wegsperren unbequemer Denker war erfolglos, also führte man
den antiken Philosophen Aristoteles in die Kirche ein und stellte dessen
Lehren als Sammlung weltlichen Wissens neben die Bibel. Das Problem, das
man sich dabei aufhalste, wurde im Mittelalter nicht erkannt. Geschriebene
Bücher können zwar eine Quelle der Bildung und der Weisheit
sein, eine Erweiterung des Wissens ist aber nicht möglich, wenn man
bestehendes Wissen für abgeschlossen hält. Genau in diese Falle
tappten konservative Kreise in der Kirche. Im brillanten Roman "Der Name
der Rose" von Umberto Eco prallen zwei Welten aufeinander: Die Scheinwelt
des abgeschlossenen Wissens und die offene Welt der freien Wissenschaft.
Erstere wird durch den Mystiker Jorge von Burgos, letztere durch den Mönch
William von Baskerville verkörpert.
Im 17. Jahrhundert entwickelten sich die Wissenschaften rasant. Fernrohr
und Mikroskop öffneten der Astronomie, der Biologie und der Medizin
bisher unbekannte Welten. Im 19. Jahrhundert wurde die Lage für die
Kirche so heikel, dass Papst Pius IX die Notbremse zog. Die Entwicklung
der Wissenschaften und der in Preußen gegen die römische Kirche
geführte "Kulturkampf" führten zum "Syllabus", eine Verdammung
aktueller wissenschaftlicher und politischer Theorien. Auf dem 1. Vatikanischen
Konzil wurde außerdem verkündet, dass der Papst bei Entscheidungen
"ex cathedra” in Glaubens- und Moralangelegenheiten mit der Gnade der
Unfehlbarkeit versehen sei.
Vertreter der Naturwissenschaften haben trotz aller Erfolge nie behauptet,
unfehlbar zu sein, denn jede Forschung enthält auch die Möglichkeit
des Irrtums. Religionsgemeinschaften, die nur auf Dogmen zählen und
Dialoge nach außen verweigern, werden weiter an Bedeutung verlieren.
Nur Einfaltspinsel können heute noch glauben, wissenschaftlich frei
denkende Menschen auf eine befohlene Linie bringen zu können.
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