Fassungslos fragen sich gläubige Menschen immer wieder, was „sich
Gott wohl dabei gedacht hat“, als er am 2. Weihnachtsfeiertag im
indischen Ozean so viele Menschen sterben ließ. Die Frage ist falsch
gestellt, weil sie in dieser Form nicht zu beantworten ist. Einige Theologen
versuchen zwar eine Erklärung, es wäre jedoch besser, sie würden
schweigen. Die Einfältigen und Bigotten glauben sogar ein „Zeichen“
oder eine „Strafe Gottes“ zu erkennen.
Wer tatsächlich nach besonderen „Zeichen“ - um in der
Sprache des Aberglaubens zu bleiben - sucht, wird an vielen Stellen fündig.
So sterben weltweit alljährlich geschätzte 500.000 bis 700.000
Menschen im Straßenverkehr, das sind rund 1.400 bis 2.000 Menschen
täglich. Eine noch höhere Todeszahl hat das Rauchen zur Folge.
In der Europäischen Union (ohne die neuen Beitrittsländer) sind
jährlich mehr als eine halbe Million Todesfälle dem Rauchen
zuzuordnen. Eine ähnlich hohe Zahl an Todesopfern haben die USA aufzuweisen.
Da sich Verkehrs- und Drogentote zeitlich und räumlich verteilen,
werden sie nur wahrgenommen, wenn sie Menschen betreffen, die uns nahe
stehen. Schlägt der Tod hingegen durch Terror, Flugzeugabstürze
und Erdbeben zu, wird angesichts der grausamen Sinnlosigkeit der Vorkommnisse
der liebe Gott ins Spiel gebracht, was die Theologen regelmäßig
in Erklärungsnot bringt.
Das Problem bei der Wahrnehmung großer Gefahren liegt in der Begrenztheit
der Vorstellungskraft. Dort wo „seit Menschengedenken“ nichts
passiert ist, kann - so glaubt man - auch heute nichts passieren. Dieser
Irrglaube betrifft Erdbeben, Lawinen und Hochwässer gleichermaßen.
Doch die Natur ändert sich in langen Zeiträumen, wobei sie keine
Skrupel kennt. Es ist längst bekannt, dass sich die Veränderung
der Erdoberfläche durch die vom deutschen Geophysiker Alfred Lothar
Wegener (1880-1930) entwickelte Plattentektonik erklären lässt.
Subduktionszonen sind Zonen des Eintauchens einer ozeanischen Platte unter
eine Kontinentalplatte. Die Geologen kennen längst diese Zonen, an
denen Bebengefahren lauern.
Die Wissenschaften können nicht alle Probleme lösen, aber sie
können warnen. Einige Spießbürger unserer Spaßgesellschaft
beklagten das mangelnde Krisenmanagement europäischer Regierungen
nach der Flutkatastrophe im indischen Ozean, geradeso als ob hier das
Hauptproblem läge. Die Probleme liegen anderswo. Sie liegen in der
weltweiten Überbevölkerung, im kurzfristigen Denken und in einem
kindlichen Gottvertrauen. Bei einer ungebremsten Bevölkerungsexplosion,
einer ungehemmten Verbauung gelber und roter Zonen im Gebirge und sorglosen
Baumaßnahmen in Erd- und Seebebengebieten kann auch ein Gott die
Geduld verlieren.
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