Die Wetterkapriolen der letzten Jahre sind für viele Menschen ein Grund
zur Sorge. Hitzerekorde, Schneerekorde, Lawinenrekorde und Hochwasserrekorde
folgen in unseren Breiten Schlag auf Schlag. Wenn - so wie im letzten
Winter geschehen - dreihundert Jahre alte Alphütten von Lawinen weggerissen
werden, dann kann man nicht mehr von normalen klimatischen Verhältnissen
sprechen. Man verweist gerne darauf, daß Jahrhundertrekorde eben
einmal pro Jahrhundert vorkommen, und tatsächlich gab es außergewöhnliche
Jahre mit extremen Witterungsverhältnissen auch schon in der Vergangenheit.
Eines dieser Jahre war das Jahr 1816, ein Jahr ohne Sommer. Das Unheil
begann 1815 mit einem gewaltigen Vulkanausbruch in Indonesien. Der Tambora-Vulkan
auf der Insel Sumbabwe schleuderte riesige Aschemengen in die Atmosphäre.
Der Ausbruch forderte laut Bericht der Chronisten etwa 12.000 Menschenleben.
Der Ausbruch des Tambora war noch intensiver gewesen als die berüchtigte
Explosion des Krakatau 1883. In einem Umkreis von 1600 Kilometern bebte
die Erde, und das Donnern der Eruptionen war hunderte Kilometer zu hören.
Noch in 500 Kilometern Entfernung glaubten Offiziere, daß ein militärischer
Angriff im Gange sei.
Nach dem Tambora-Ausbruch bewegten sich vor allem auf der Nordhalbkugel
der Erde Tonnen an Staub durch die Atmosphäre und verdunkelten das
Sonnenlicht. Die Welt-Durchschnittstemperatur nahm innerhalb weniger Monate
dramatisch ab. Schon im Frühling 1816 merkten die Menschen, daß
etwas nicht stimmte. In amerikanischen Zeitungen häuften sich die
Meldungen über einen viel zu spät einsetzenden Frühling.
Im Juni fiel das Getreide einigen unerwartet langen und heftigen Nachtfrösten
zum Opfer. Am 6. Juni brach eine eisige Sturmfront über Neuengland
herein und brachte eine Schneemenge, die man bis dahin nur aus den Wintermonaten
kannte. Am 9. Juli folgte eine zweite Frostwelle, welche Seen und Flüsse
gefrieren ließ, am 21. August die dritte und am 30. August traf
eine vierte Kältewelle die verzweifelte Bevölkerung. Mit Ausnahme
einiger weniger widerstandsfähiger Getreide- und Obstsorten wurde
die Ernte im Osten Amerikas teilweise vernichtet.
Die vielen Einzelberichte aus den USA, Canada und Europa der damaligen
Zeit lassen sich schwer zu einem Gesamtbild formen. Die Statistiken der
Gesellschaft für Landwirtschaft in Philadelphia und die Unterlagen
über den Handel am damals größten europäischen Getreidemarkt
in Zürich dokumentieren aber die Großhandelspreise für
Nahrungsmittel. In den dramatischen Preisanstiegen ist die klimatische
Katastrophe mit dem nachfolgenden unvorstellbaren Hungerelend des Jahres
1816 deutlich zu erkennen.
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