Reverend Bill Shanks, Pfarrer in New Orleans, weiß, warum die
Stadt zerstört wurde. Gott hat die Stadt mit gutem Grund weggespült.
"New Orleans ist nun frei von Abtreibungen, frei von Dekadenz, Voodoo,
Hexern und falschen Religionen". Gott habe New Orleans in seiner
unendlichen Güte gesäubert. Der göttliche Hurrikan habe
eine verruchte Stadt zerstört, predigt auch Michael Marcavage, Direktor
der Fundamentalisten-Organisation "Repent America" (reuiges
Amerika). Der Tod von Kindern und alten Leuten wird dabei als eine Art
göttlicher Kollateralschaden gesehen, denn Gott kann schließlich
bei seinem Strafgericht nicht jede Kleinigkeit berücksichtigen. Ähnlich
unzurechnungsfähig argumentierten auch islamistische Geistliche nach
der weihnachtlichen Tsunamikatastrophe 2004. Allah hat die dekadenten
ungläubigen Touristen getötet. Der theokratische Begleitschaden
in Form der toten Moslems in Indonesien wurde dabei übersehen.
Folgte man den kranken Argumentationen, dann müssten die Sündenpfuhle
der Erde leicht zu identifizieren sein. Das Erdbeben von 1556 in der Provinz
Shaanxi (Shensi) in China, bei dem etwa 800000 Menschen den Tod fanden,
war eine der größten Naturkatastrophen der Geschichte. 1693
kostete ein Erdbeben auf Sizilien etwa 60000 Menschen das Leben. Im frühen
18. Jahrhundert wurde die Stadt Edo, an dessen Stelle heute Tokio steht,
zerstört, wobei 200000 Menschen ihr Leben verloren. Auch wiederkehrende
Hochwässer und Muren fordern Menschenleben, wenn in Gefahrenzonen
zu sorglos gebaut wird.
Katastrophen sind kein Produkt göttlicher Rache sondern Folgen menschlicher
Unvernunft und ein Teil der Geschichte unseres Planeten. Im großartigsten
naturhistorischen Museum der Welt, im „Natural History Museum“
im Londoner Stadtteil Kensington, kann man einen faszinierenden Satz lesen:
„The earth is a restless planet, and change is a part of its nature“
(Die Erde ist ein ruheloser Planet, und Wandel ist ein Teil ihrer Natur).
Das Museum zeigt mit Hilfe ausgewählter Fossilien, Mineralien und
Gesteine die gnadenlose Geschichte unserer Erde, deren Oberfläche
durch Luft, Wasser und Kräften aus dem Erdinneren in viereinhalb
Milliarden Jahren geformt wurde. Gebirge, Meere, Flüsse, Seen, Tier-
und Pflanzenarten kamen und gingen. Niemand wurde dabei bestraft, denn
die Natur kennt weder Mitleid noch Moral. Die überlebenden Arten
waren entweder gut angepasst oder hatten Glück.
Welch logische Irrwege und Sackgassen drohen, wenn religiöser Glaube
und Wissenschaft in einen Topf geworfen und zu einem ungenießbaren
Brei vermischt werden, soll in den nächsten Scheinwerfer-Essays gezeigt
werden.
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