Im Juni dieses Jahres gingen Schlagzeilen wie "Menschliches Erbgut
restlos entschlüsselt" um die Welt. Die Medien hatten sich nach der
Bekanntgabe in den USA auf die Neuigkeit gestürzt und diese einer
beeindruckten Öffentlichkeit mitgeteilt. Inzwischen hat sich die
Aufregung gelegt. Es ist daher an der Zeit, ein paar Dinge zurechtzurücken.
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass der Code des Lebens nicht
erst jetzt sondern bereits in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts
entschlüsselt wurde, nachdem der Amerikaner James Watson und der
Engländer Francis Crick die Struktur der DNA (die Erbmasse) aufgeklärt
hatten. Es gibt vier organische Basen in der DNA, sie werden mit A, T,
C und G abgekürzt. Bei der Umsetzung des Codes kommt noch eine 5.
Base (U) ins Spiel. Was der Amerikaner Craig Venter kürzlich vorgelegt
hat, ist die immer noch unvollständige Reihenfolge der organischen
Basen in der DNA eines Menschen. Dreiergruppen der Basen in der DNA bilden
dabei den "Code des Lebens", also etwa -CCG-ATC-TTA-... usw.
Vergleichen wir diesen genetischen Code mit einem digitalen Schlüssel
des Computer-Zeitalters, der durch die Zahlen 1 und 0 symbolisiert wird.
Der digitale Code eines Fotos im Internet kann beispielsweise mit 10010011
und der Code eines digital gespeicherten Textes vielleicht mit 00101110
beginnen. Die Digitalcodes sind bekannt und lesbar, immerhin wurden sie
von Menschen geschaffen. 01000000 ist beispielsweise der Code für
das Internet-Zeichen @.
Ungemein verwirrender ist die Struktur des genetischen Codes. Gene greifen
auf andere Gene zu, schalten diese ein oder aus, bilden hierarchisch Strukturen
- ein Universum an Wechselwirkungen. Menschen mit Blutgruppe A haben andere
Gene als diejenigen mit B, große Menschen haben andere Gene als
kleine. Bluterkrankheit, Mukoviszidose und andere Erbkrankheiten zeigen
jeweils eigene Genstrukturen. So wie verschiedene CDs verschiedene digitale
Codes zeigen, so sind alle Menschen verschieden und haben individuelle
Gene. Ein einheitlicher genetische Code der rund 6 Milliarden Menschen
kann daher prinzipiell nicht angegeben werden. Dies wird bei Gentechnik-Pressekonferenzen
stillschweigend übergangen, und niemand hat es bisher bemerkt.
Könnte man unseren genetischen Wissenstand auf einer Skala von 0
(nichts wissen) bis 1000 (fast alles wissen) auftragen, so wären
wir zur Zeit irgendwo zwischen 10 und 20. Wir stehen erst am Beginn eines
neuen Zeitalters. Was noch kommt - gut oder schlecht-, weiß zur
Zeit niemand.
|