Um 19 Uhr beginnt der Nachtdienst. Zwei ehrenamtliche Rettungs- und
eine Notarztmannschaft wachen eine Nacht lang über die Gesundheit
der Bewohner unserer kleinen Landeshauptstadt. Der Startschuss fällt
augenblicklich. Der Motorola-Pager meldet: „r2 15j w v.a. intox“
Es ist ein r2-Einsatz, der unverzüglich mit Blaulicht durchzuführen
ist. Ein fünfzehnjähriges Mädchen („w“) zeigt
Vergiftungserscheinungen („intox“). Das „v.a.“
(Verdacht auf) bedeutet, dass die Sache sofort abzuklären ist. Das
Mädchen liegt bewusstlos an der Achmündung. Laut Auskunft hat
sie den ganzen Nachmittag Wodka und „irgendwelche Tabletten“
geschluckt. Das Mädchen erwacht aus der Bewusstlosigkeit, dann erbricht
sie minutenlang. Zur gleichen Zeit versorgt die andere Mannschaft einen
gestürzten alten Mann mit einer Kopfverletzung. Er ist so betrunken,
dass er kein klares Wort herausbringt.
Nach 20 Uhr fährt die erste Mannschaft zu einem Patienten mit Hodenverletzung.
Die blutende Wunde, die sich der Mann mittleren Alters beim Sturz vom
Fahrrad zugezogen hat, erzeugt schon beim Anblick ein qualvolles Gefühl,
doch der Patient spürt wegen seiner Alkoholisierung kaum etwas. Zur
gleichen Zeit bringt die zweite Mannschaft einen 30 Jährigen per
Zwangseinweisung nach Rankweil: Selbstgefährdung auf Grund drogenbedingter
Psychosen. Um Mitternacht wird eine Stammkundin transportiert. Die 22
jährige Frau liegt im Koma, weil sie laut Zeugen „viel Zeugs
eingeworfen hat“. Sie wird zum vierten Mal innerhalb einer Woche
im Krankenhaus versorgt. Um 2 Uhr nachts vergnügen sich einige fröhliche
Yuppies, indem sie bar-fuss über glühende Kohlen gehen. Einer
der Zecher merkt – drogenbedingt - nicht, dass er sich die Haut
wegbrennt.
Bei elf von vierzehn Einsätzen waren Alkohol oder illegale Drogen
im Spiel. Eine normale Nacht in Bregenz also, und doch nur die Spitze
des Eisbergs. Daraus lernt man zweierlei. Erstens sind wissenschaftliche
Arbeiten wertlos, wenn das zugrunde liegende Datenmaterial falsch ist.
Jede Untersuchung würde Unfälle, Verbrennungen, Depressionen
usw. auflisten. Die unbeschönigten Ursachen bleiben aber verborgen,
weil „C2-abusus“ (Alkoholmissbrauch) und Ähnliches in
den Einsatzprotokollen nicht gerne gesehen wird. Zweitens können
die Bürger ruhig schlafen, weil ehrenamtliche Rettungssanitäter
sowie Ärzte und Krankenschwestern die nächtliche Drecksarbeit
unserer alkohol- und drogenkranken Gesellschaft machen.
Um 6 Uhr ist Dienstwechsel. Die ehrenamtlichen Sanitäter genehmigen
sich einen Kaffee, bevor sie zu ihren täglichen Arbeitsplätzen
gehen. Irgendjemand liest aus der Zeitung vor, dass ein Zeitgeistkrieger
wieder einmal die Freigabe „weicher“ Drogen fordert. Die übermüdeten
Damen und Herren der Augenringe schweigen resigniert.
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