Womit kann man die Menschen heute noch brüskieren? Diejenigen
Künstler, die es mangels an Ideen auf Provokationen anlegen, haben
es heute sehr schwer. Immerhin befindet sich die Generation, die mit Jimi
Hendrix, Janis Joplin und den Rolling Stones aufgewachsen ist, schon im
Großelternalter. Ein Joseph Beuys (1921-1986), der seinerzeit mit
seinem „Fettstuhl“ oder der „Honigpumpe“ Aufsehen
bewirkte, würde heute kaum noch wahrgenommen. Auch die Wiener Aktionisten
(Brus, Mühl und Nitsch) erhöhen, wenn überhaupt, den Blutdruck
nur noch schwach. Man hat sich, von einigen spurenelementartig erscheinenden
Erregungen abgesehen, an die öffentliche Verwendung von Blutkonserven,
Tierkadavern und Nackedeien gewöhnt. Wenn etwas Ärgernis erregt,
dann eher Feigheit. Hermann Nitsch verwendet beispielsweise in seinen
Orgien-Mysterien-Theatern zwar christlich-katholische Symbole wie Kreuze
und Monstranzen, zur Verwendung moslemischer oder jüdischer Gegenstände
fehlt ihm aber die Courage.
Die aktivsten Aufwiegler waren und sind die Wissenschaftler. Nikolaus
Kopernikus hatte, als er die Sonne in den Mittelpunkt des Planetensystems
rückte, für das erste große Ärgernis gesorgt. Sogar
der Reformer Martin Luther hielt das neue Weltbild für eine Eselei.
Galileo Galilei wurde von der Inquisition der Prozess gemacht, als er
behauptete, er könne Kopernikus’ Ideen beweisen. Newton erschreckte
die Welt der Wissenschaft, als er die Schwerkraft zur bewegenden Kraft
im Universum erklärte. Danach hörten die Provokationen nicht
mehr auf. Die Weltbilder der Antike gingen nach und nach den Bach hinunter.
Atome existierten genauso wie das Vakuum. Beides hatte Aristoteles bestritten.
Das Weltall besteht nicht nur aus unserem Planetensystem. Es gibt unzählige
Planetensysteme und Galaxien, und wahrscheinlich existieren neben unserem
Universum unendlich viele Universen. Biologen, Astronomen und Physiker
sind die professionellen Provokateure schlechthin.
Junge Leute, die Lust am Rebellieren haben, sollten dies nur dann in
der Kunst versuchen, wenn sie sowohl über Begabung verfügen
als auch Fleiß einzusetzen gedenken. Man kennt das bei Komponisten
wie Mozart und Bruckner, bei Autoren wie Heine und Rushdie, bei Malern
wie Goya und Dali, bei Architekten wie van der Rohe und Gehry oder bei
Regisseuren wie Kubrick und Scorsese. Chancen zum Provozieren liegen auch
in den Wissenschaften. Nicht jeder ist zum Nobelpreis berufen, aber allein
schon das Streben nach tiefem Wissen über die Naturgesetze hat etwas
ungemein Kämpferisches an sich.
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