Die Frage, wer oder was das Abendland am stärksten geprägt
hat, ist nicht einfach zu beantworten. Den ersten Einfluss übten
die Römer aus, die über Jahrhunderte große Teile Europas
besetzt hielten. Der germanische Heerführer Arminius vernichtete
drei römische Legionen und setzte dem Expansionsdrang Roms ein
Ende.
Nach den Wirren der Völkerwanderungszeit bewirkten die Araber
eine kulturelle Initialzündung. Der persische Arzt Abu Bakr Muhammad
Ibn Zakariya ar Razi (865-925), genannt „Rhazes“, war ein
bekannter Arzt und Alchemist. Ein weiterer moslemischer Wissenschaftler
war der Arzt Abu-Ali al-Husayn Ibn-Sina (980-1037), der unter dem lateinisierten
Namen „Avicenna“ bekannt ist. Diese Araber hatten die Werke
großer Philosophen wie Aristoteles neu entdeckt, übersetzt
und zusammen mit ihrer Astronomie und dem modernen arabischen Zahlensystem
nach Europa gebracht. Der von den Arabern importierte Aristoteles wurde
in der Folge vom Theologen Thomas von Aquin als naturwissenschaftlicher
Lehrer in der Kirche etabliert.
Während der Renaissance kam es in Europa zu einer kraftvollen
Entwicklung der Wissenschaften und Künste. Gleichzeitig musste
der Islam einen kulturellen Niedergang erfahren, von dem er sich nur
mühsam erholt. Das 16. Jahrhundert erlebte die Reformation durch
Martin Luther. Im 18. Jahrhundert folgte das Zeitalter der Aufklärung,
als Protestbewegung entstand die Romantik. Im 19. Jahrhundert kündigte
sich durch Leute wie Faraday, Darwin, Mendel, Boltzmann, Röntgen,
Curie und andere der massive Durchbruch der Naturwissenschaften an.
Gleichzeitig brach der Kulturkampf zwischen der katholischen Kirche
und dem deutschen Reich unter Reichskanzler Otto von Bismarck los. Dieser
Kulturkampf ist längst ausgestanden, obwohl hie und da noch wirkungslose
Attacken gegen die Wissenschaften erfolgen, wie etwa im Sommer 2005
durch Kardinal Schönborn.
Es ist keine Frage, dass das Christentum dem Abendland seinen Stempel
aufgedrückt hat, aber Europa ist mehr. Unser Kontinent ist durch
zweitausend Jahre dauernde schwere Konflikte geformt worden. Unsere
Vorfahren haben enorme militärische und weltanschauliche Auseinandersetzungen
erlebt, die im 20. Jahrhundert in den beiden großen Vernichtungsideologien
– Nationalsozialismus und Kommunismus – ihren traurigen
Höhepunkt erreichten. Das Abendland ist heute das Reich der freien
Demokratien, Künste und Wissenschaften. Die ausgedienten linken
und rechten Ideologien und der rückständige Islamismus sind
noch lange nicht ausgerottet. Das Abendland muss stark und wehrhaft
bleiben, andernfalls sind die schmerzlich errungenen Freiheiten über
Nacht Vergangenheit.