Der britische Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell sagte einmal:
„Viele Menschen würden eher sterben als denken. Und in der
Tat: Sie tun es.“
Die Frage, ob und wie man denken lernen kann, ist einfach. Unsere Gymnasien
sind Denkschulen - oder sollten es zumindest sein. Es ist ein Irrtum,
in den allgemein bildenden höheren Schulen eine reine Wissensvermittlungsagentur
zu sehen. Wer den Sinn unserer Gymnasien auf diese Ansicht reduziert,
muss zwangsläufig zur Frage kommen, wozu man dieses oder jenes
Wissen eigentlich benötigt. Müssen wir wirklich wissen, wie
die Meeresenge zwischen Australien und Tasmanien heißt? Ist es
wirklich nötig, das Volumen einer rotierenden Ellipse zu berechnen?
Muss man den lateinischen Satz „Stultorum numerus infinitus est“
(Die Zahl der Dummen ist unendlich) übersetzen können? Ist
es in Zeiten von Google und Yahoo notwendig, den Geist mit unnötigen
Details zu belasten?
Unter den klassischen Nobelpreisträgern (Medizin, Physik und Chemie)
findet man die unterschiedlichsten Typen, aber eines ist allen gemein.
Sie haben allgemein bildende höhere Schulen besucht und dort das
Denken gelernt. Der österreichisch-amerikanische Biochemiker Erwin
Chargaff (1905-2002) hatte wichtige Vorarbeiten zur Entschlüsselung
des DNA-Moleküls geleistet, wodurch er lange als heißer Tipp
für den Nobelpreis gehandelt wurde, den er allerdings nie bekam.
Chargaff war vor Jahren in Vorarlberg zu Besuch. Im privaten Gespräch
sagte er voll Überzeugung, dass man den Schülern dann einen
Gefallen erweist, wenn man ihnen das Denken beibringt. Das funktioniert
am besten mit Latein, Mathematik und den bekannten Fächern, wie
Naturwissenschaften, Geschichte und Philosophie.
Zum Lösen einer quadratischen Gleichung kann man getrost ein simples
Computerprogramm einsetzen, lateinische Zitate samt Übersetzung
findet man in vielen Büchern und tiefgründige philosophische
Sätze kann man auf der Internetseite Wikipedia nachlesen. Wozu
also sich den Kopf zerbrechen über Dinge, die Computer und Internet
mühelos liefern? Die beste Antwort, die an dieser Stelle gegeben
werden kann, stammt von der großen österreichischen Schriftstellerin
Marie von Ebner-Eschenbach. „Nur der Denkende erlebt sein Leben.
An Gedankenlosen zieht es vorbei.“
In letzter Zeit war von Zentralmatura, einheitlichen Bildungsstandards
und einer Durchforstung (gemeint sind umfassende Kürzungen) der
Lehrpläne die Rede. Diese Ankündigungen klingen schon ziemlich
krank, können sich aber zu einer veritablen Bedrohung entwickeln,
wenn die Hauptaufgabe unserer allgemein bildenden Schulen – die
hohe Schule des Denkens – postmoderner Denkfaulheit zum Opfer
fällt.