„Licht wird fallen auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte“
schrieb Charles Darwin 1859 in seinem legendären Buch über
die Entstehung der Arten. Damals waren eben erst ein paar Knochen des
Neandertalers entdeckt worden. Darwin ahnte die Entwicklung der Humanwissenschaft
voraus, aber er wusste nicht, wie schnell sich seine Vermutung bestätigen
würde. Inzwischen verfügen wir über Knochen von rund
400 verschiedenen Individuen des Neandertalers, wir kennen auch zahlreiche
Arten der Gattung „Homo“: Homo habilis, Homo ergaster, Homo
erectus und andere. Vor den Homo-Arten existierte die Gattung „Australopithecus“,
zu Deutsch „Südaffe“. Diese Bezeichnung ist insofern
nicht korrekt, als deren berühmteste Vertreterin – Lucy –
wegen ihres aufrechten Ganges kein Affe mehr war. Ihre untersetzte Gestalt
und der kleine Gehirnschädel lassen die Zuordnung zur Gattung Homo
nicht zu.
Nur 75 Kilometer südlich der Fundstelle von Lucy wurde zu Beginn
der Neunzigerjahre ein wesentlich älterer Typus gefunden, dem die
Biologen die Seriennummer ARA-VP-1/129 gegeben haben. Später erhielt
das Skelett die Artbezeichnung „Ardipithecus ramidus“. Ardi
heißt in der Sprache des ansässigen Afar-Volkes Boden, ramidus
ist verwurzelt. Der in 4,4 Millionen Jahre alten Sedimenten gefundene
Vorfahre der Menschen ist somit ein verwurzelter Bodenaffe. „Ardi“,
wie das gefundene Weibchen liebevoll genannt wird, war 1,20 Meter klein
und wog etwa fünfzig Kilogramm. Zusätzlich zu Ardis Skelett
fand man noch 110 weitere einzelne Knochen von Artgenossen.
Das Skelett von Ardi ist erstaunlich vollständig, daher kann man
Rückschlüsse auf deren Fähigkeiten ziehen. Ardi konnte
gut klettern und aufrecht gehen, allerdings war ihr aufrechter Gang
nicht so gut entwickelt wie bei der eine Million Jahre später geborenen
Lucy. Ardis Zähne, vor allem die Eckzähne, waren deutlich
kleiner als die Zähne der Menschenaffen, fast schon menschenähnlich.
Das internationale Forscherteam des Anthropologen Tim White und des
mittlerweile verstorbenen John Desmond Clark von der Universität
von Kalifornien haben jahrelang eine Geheimniskrämerei um Ardi
betrieben. Jetzt erschien eine Sondernummer der Fachzeitschrift „Science“
mit ausführlichen Beschreibungen.
Ardi ist keine Übergangsform zwischen Mensch und Affe, aber sehr
nahe daran. Das Wesen an der Schnittstelle zur Menschwerdung, die lang
gesuchte „Eva“, wartet immer noch auf ihre Entdeckung. Wir
wissen heute, dass unsere frühesten Vorfahren im Great Rift Valley
in Ostafrika entstanden sind. Ardi und Lucy lassen dabei ahnen, wie
Eva ausgesehen haben mag.