Der Islam, die jüngste der drei großen Ein-Gott-Religionen,
ist kein einheitliches Gebilde sondern in viele Gruppen und Grüppchen
zerteilt. An manchen Orten begegnen sich die Parteien mit tödlichem
Hass. Der blutige Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten im Irak
hat traurige Berühmtheit erlangt. Der Koran nimmt diese Uneinigkeit
vorweg, wenn es in der 5. Sure, Vers 48 heißt: „Hätte
Gott es gefallen, so hätte er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht;
doch will er euch prüfen in dem, was er euch gegeben hat. …
Zu Gott werdet ihr heimkehren, und er wird euch aufklären über
das, worin ihr uneinig seid.“
Der Islam ist nicht mit dem Islamismus gleichzusetzen. In letzterem Fall
haben wir es mit der dritten großen Vernichtungsideologie innerhalb
eines Jahrhunderts zu tun. Der Marxismus propagierte die Vernichtung
des Klassenfeindes und versprach nach der Machtübernahme des Proletariats
eine gerechte Gesellschaft auf Erden. Der Nationalsozialismus propagierte
die Ausmerzung des Rassenfeindes und versprach nach der Machtübernahme
der arischen Rasse die Herrschaft der völkischen Lichtgestalt.
Der Islamismus propagiert den Krieg gegen die (dekadenten) Ungläubigen
und verspricht die Errichtung des Gottesstaats. Wie beim Kommunismus
und beim Nationalsozialismus ist auch der Islamismus auf eine intellektuelle
Initialzündung zurückzuführen.
Als Begründer des Islamismus gilt Sayyid Qutb (sprich: Kutb), der
1906 in Ägypten geboren wurde. Nachdem er an der Universität
Kairo ein Pädagogikstudium abgeschlossen hatte, trat er im ägyptischen
Unterrichtministerium eine Stellung an. Im Laufe der Jahre wuchs sein
Interesse am Koran. 1946 veröffentlichte er das Buch "Soziale
Gerechtigkeit im Islam" und trat der Muslim-Bruderschaft bei. Als
die Spannungen zwischen ihm und seinen Vorgesetzten zunahmen, wurde er
in die USA geschickt, doch dieses Land war für Qutb ein schockierendes
Erlebnis. In seinem Werk „Amrika allati ra’aytu“ („Das
Amerika, das ich sah“) schreibt er sich seinen Zorn über die
seiner Meinung nach materialistischen Amerikaner von der Seele. Der Islam
sei, so folgerte Qutb, der einzige richtige Weg zur politischen und moralischen
Erneuerung der Menschheit.
Zerschlagungsideologien sind nicht auf Bäumen gewachsen, sondern
sind in den Hirnen fanatischer Männer entstanden. Ihnen allen ist
ein Feind gemeinsam: Es ist die aufgeklärte bürgerliche Gesellschaft,
die eine Freiheit der Kunst, der Wissenschaft und der politischen Willensbildung
zulässt. Diese heute selbstverständlichen Freiheiten wurden
uns nicht geschenkt, sie mussten erkämpft werden und sind uns nicht
auf alle Ewigkeit gegeben.