Der deutsche Kabarettist Gerhard Polt sagte einmal im Verlaufe eines
seiner Programme sinngemäß: „Tolerant kommt vom lateinischen
tolerare, und das bedeutet etwas aushalten, etwas ertragen. Wenn also
früher jemand gefoltert wurde, und er hat das ausgehalten, dann
war er tolerant.“
An diese Worte wird man unweigerlich erinnert, wenn man von gewissen
Wahlkampftönen gefoltert wird, wie kürzlich in der schönen
Stadt Graz, in der eine Lokalpolitikerin die Moslems attackierte und
meinte, der Prophet Mohammed sei Epileptiker und im heutigen Sinn ein
Kinderschänder gewesen. Vielleicht stimmt es, vielleicht auch nicht,
in jedem Fall ist die Sache heute eher belanglos. Genauso könnte
man die christlichen Kirchen attackieren und behaupten, der Apostel
Paulus sei Epileptiker gewesen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit auch
der Fall war. Paulus (damals noch Saulus) war, wie man nachlesen kann,
mit einer Schlägerbande nach Damaskus unterwegs um dort Christen
aufzumischen. Sein Zusammenbruch mit nachfolgender Erblindung auf der
Reise (Apostelgeschichte 9, 1-9) zeigt alle klassischen Symptome eines
epileptischen Anfalls. Aber auch das ist heute nicht mehr relevant.
Entscheidend ist heute unsere Freiheit, andere Menschen mit unerbetenen
Wortspenden im Sinne Gerd Polts martern zu dürfen.
Unsere bürgerlichen Freiheiten, die in Jahrhunderten erstritten
wurden, mitunter auch blutig wie während der französischen
Revolution, erlauben jegliche Freiheit der Meinungsäußerung,
solange Mitmenschen nicht geschädigt werden. Das bedeutet auch,
dass Torheiten ohne Ende über die Menschheit gebracht werden dürfen,
wobei das Internet zur Beschleunigung dieser Psychofolter entscheidend
beigetragen hat. Es darf behauptet werden, dass die Erde und das Weltall
nur wenige tausend Jahre alt sind, es darf behauptet werden, dass man
ein Medikament so lange verdünnen kann, bis der Wirkstoff verschwunden
ist, das Lösungsmittel sich aber an die Substanz „erinnern“
könne, es darf auch behauptet werden, dass Außerirdische
mit Hilfe von Plasmastrahlen Bilder in Kornfelder brennen. All das wird
behauptet und von schlichten Zeitgenossen auch tatsächlich geglaubt.
Meinungsfreiheit ohne Seelenfolter als Begleiterscheinung ist leider
nicht möglich. Wir müssen all den Aberwitz, der uns im Internet,
in Print- und anderen Medien tagtäglich um die Ohren geschlagen
wird, eisern ertragen. Wer die Fahne der Freiheit hochhält, ist
zur Toleranz verdammt. Bedrohlich wird es erst dann, wenn – egal
von wem - das freie Denken als Grundlage von Wissenschaft und Kunst,
eingeschränkt oder gänzlich unterbunden wird. Eine freie Demokratie
muss daher sowohl tolerant als auch wehrhaft bleiben.