1968 führte der Franzose Michel Gauquelin ein Experiment durch, welches
in den Fachblättern häufig zitiert wurde. Gauquelin schaltete
in einem bekannten Magazin ein Inserat, aus dem ersichtlich war, daß
man bei ihm kostenlos Horoskope bestellen könne. Über fünfhundert
Personen meldeten sich, worauf alle den gleichen Text zugesandt erhielten.
Dabei handelte sich um ein Horoskop, welches der bekannte Astrologe André
Barbault für den französischen Massenmörder Petiot berechnet
und formuliert hatte. Dem Horoskop war ein Fragebogen mit dem Ersuchen
beigefügt, diesen ausgefüllt an den Absender zurückzusenden.
Die Hauptfrage in dem Fragebogen lautete, ob der Horoskoptext den Charakter
der Person korrekt beschreibe. 94 Prozent der Leute waren überzeugt,
daß das Horoskop des Massenmörders Petiot "ihren Charakter
zutreffend" beschrieb.
In der Zwischenzeit wurde dieses Experiment an anderer Stelle wiederholt,
wie zum Beispiel vor wenigen Wochen in Köln. Der Aufbau des Experiments
entsprach demjenigen von Gauquelin. Diesmal wurden für das Horoskop
die Daten des deutschen Massenmörders Friedrich Haarmann verwendet,
der in den Dreißigerjahren 24 Menschen brutal umgebracht hatte.
Über 200 Personen meldeten sich und bekamen alle das gleiche vermeintlich
individuelle Haarmann-Horoskop zugeschickt. Das Ergebnis war abermals
verblüffend. 91 Prozent meinten, daß im Horoskoptext "mein
Charakter korrekt beschrieben wird". 15 Prozent waren sogar der Meinung,
der Deutungstext sei "absolut perfekt". Die Endauswertung dieses Versuchs
ist noch im Gange und wird demnächst in der Fachliteratur veröffentlicht
werden.
Die erstellten Horoskope waren nicht das alleinige Interessensziel der
Psychologen. Es ging noch um etwas anderes. Es tritt hier nämlich
ein Phänomen zutage, das man als "selektive Wahrnehmung" bezeichnet.
Dabei geht es um die schlichte Tatsache, daß fast alle Menschen
das für richtig erachten, was sie von vorneherein für richtig
halten wollen. Niemand ist vor diesem Fehler sicher.
Bei Horoskopen kann die selektive Wahrnehmung besonders leicht zutage
treten, denn "ein deutlicher Wunsch nach Veränderung", ein "Hang
zur Sensibilität", ein "Charakter, der zu fester und treuer Freundschaft
neigt" und andere positive jedoch ungenau formulierte Eigenschaften findet
wohl jeder an sich.
In den Wissenschaften können selektive Wahrnehmungen fatale Folgen
haben. Viele Forscher mußten dieser menschlichen Schwäche Tribut
zollen. Der bekannte englische Biologe und Philosoph Thomas Huxley hat
einmal gemeint, daß Wissenschaft nichts anderes sei als ausgebildeter
und organisierter Menschenverstand. Dieser ist fehlerhaft, wie Gauquelins
Experiment und andere Erfahrungen gezeigt haben.
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