Die Diskussion um eine große Schulreform hat eine ganze Wortmeldungsindustrie
von echten und vermeintlichen Experten entstehen lassen. Das ist im
Grunde gut so, denn kein Schulsystem dieser Welt kann darauf verzichten,
sich weiter zu entwickeln. Der Teufel steckt aber im Detail. Vorschläge
gibt es viele: Mehr Computer, weniger Schüler pro Klasse, mehr
Lehrer, Abschaffung der Klassenwiederholung oder einheitliche Lehrpläne
für alle Kinder bis zum 15. Lebensjahr, auch bekannt unter dem
Begriff „Schule der Vielfalt“.
Durch all dieses Getöse wird in einer virtuellen Prozession das
Wort „Chancengleichheit“ wie ein Mantra getragen. Erstaunlicherweise
konnte bis heute niemand befriedigend erklären, was man unter Chancengleichheit
tatsächlich versteht. Es ist sehr wichtig, dass fleißige,
leistungswillige und begabte Jugendliche, egal aus welchen Bevölkerungsschichten
sie kommen, für die Wissenschaft, die Wirtschaft und andere Bereiche
nicht verloren gehen. In diesem Falle müsste einer Chancengleichheit
eine Begabtenerkennung vorangehen, wobei die Meinungen über den
richtigen Zeitpunkt unterschiedlich sind. Was aber ist mit den weniger
leistungsfähigen Jugendlichen? Hier schlägt man eine Ganztagsbetreuung
vor. Vormittags Unterricht, nachmittags eine betreute Wiederholung.
Es gibt noch den kuscheligen Weg. Alle Schüler bekommen gute Noten.
Über die Studenten an deutschen Hochschulen geht seit Jahren ein
warmer Regen an Einser-Abschlüssen nieder. 2005 gab es nach Angaben
des Wissenschaftsrates in Köln Durchschnittsnoten von 1,51 in Biochemie,
1,54 in Biologie und Physik, 1,59 in Psychologie und von 1,67 in Philosophie.
87 Prozent der Absolventen von Sprach- und Kulturwissenschaften erhielten
ein "Sehr gut" oder "Gut". An der Universität
Osnabrück wurde kürzlich zwei Soziologieprofessoren die Prüfberechtigung
entzogen, weil sie in mehr als 100 mündlichen Staatsprüfungen
nur die Note „Sehr gut“ vergaben. Diese "Kuschelpädagogik"
ist nicht neu, zwingt die Wirtschaft aber zu scharfen Maßnahmen.
In Gesprächen mit Führungskräften kann man immer öfter
hören, dass die Abschlussnoten eine geringere Rolle spielen. Viel
mehr zählt, wo die Schüler und Studenten ihren Abschluss machen,
und welche Einstellung sie zur freiwilligen Arbeit zeigen. Das reicht
vom sozialen Engagement über den europäischen Computerführerschein
bis hin zum Auslandsstudium. Chancengleichheit ist deswegen nicht definierbar,
weil es keine Ergebnisgleichheit gibt, sicher auch nie geben wird. Das
sollte uns nicht daran hindern, die Schule zum Wohle der Schüler
und Eltern fortwährend zu reformieren. Aber bitte ohne Ideologie,
denn so was ist immer schon schief gegangen.