Unser Gehirn und seine nachgeschalteten Sinne sind bei weitem nicht
so perfekt konstruiert, wie wir glauben. Das ist der Grund, warum wir
uns täuschen lassen. Die Täuschung gelingt vor allem dann, wenn
es um Zahlen geht.
In der Fahrschule lernt man, dass der Bremsweg eines Fahrzeugs mit dem
Quadrat der Geschwindigkeit wächst. Der Grund liegt in der quadratischen
Zunahme der Energie mit der Geschwindigkeit. Eine Verdreifachung der Geschwindigkeit
bewirkt nicht einen dreifachen Bremsweg sondern einen neunfachen. Wer
also seine Geschwindigkeit von 30 km/h auf 90 km/h erhöht, braucht
zum Bremsen einen neunmal so langen Weg. Wer dies als trockene Theorie
abtut, sollte ein Fahrsicherheitstraining absolvieren. Verwegene Raser,
die diese physikalische Regel nicht glauben, bezahlen nicht selten mit
einer zerstörten Gesundheit oder gar mit dem Leben.
Auch die Tonleiter in der Musik enthält eine Täuschung. Wir
glauben, dass die Töne aufeinander folgen wie die Zahlen einer simplen
Reihe. In Wahrheit ist die chromatische Tonleiter eine so genannte geometrische
Reihe. Die Aufteilung des Tonraumes der Oktave in 12 Halbtonschritte ist
die Folge einer abendländischen musikalischen Entwicklung, die auf
der Naturtonreihe und der temperierten Stimmung basiert. Von einer Oktave
zur nächst höheren verdoppelt sich die Frequenz des Tones. Der
bekannte Kammerton A hat 440 Hertz, der eine Oktave darüber liegende
hat 880 Hertz. Diese Regel gilt für alle Töne. Das mittlere
C hat eine Frequenz von 261,6 Hertz, die Oktave darüber 523,2 Hertz.
Die sinnliche Wahrnehmung gaukelt uns die Töne als Addition von Zahlen
vor, die physikalische Realität zeigt aber Multiplikationen. Zu allem
Überdruss können wir Töne unterhalb und oberhalb bestimmter
Frequenzen gar nicht mehr hören.
Noch merkwürdiger verhält es sich mit der Lautstärke,
die eine logarithmische Skala darstellt. Hinter diesem beeindruckenden
Begriff steckt die Regel, dass die Lautstärke der zehnfache Logarithmus
der Schallstärke ist. Konkret bedeutet dies, dass eine Lautstärke
von 70 dB (Dezibel) die zehnfache Schallstärke von 60 dB aufweist.
Eine Steigerung um 10 dB bedeutet also eine Verzehnfachung der Leistung,
eine Steigerung um 20 dB eine Verhundertfachung usw. Der Zunahme von 60
dB auf die Diskolautstärke von 120 dB liegt eine Zunahme der Schallstärke
um den Faktor 1 Million zugrunde.
Gefühlte Zahlenwelten, egal ob es sich um Geschwindigkeiten, Lautstärken,
Preissteigerungen und anderer Dinge handelt, gaukeln uns fast immer Scheinwelten
vor. Wer zu vorsichtigen Interpretationen dieser Illusionen neigt, lebt
in der Regel besser und länger.
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