Im neunzehnten Jahrhundert konnte man auch mit den besten Mikroskopen bei der
Beobachtung von Zellen nicht viel erkennen. Lebende Zellen schienen inhaltsleere
Klumpen zu sein. Gelegentlich beobachteten Biologen ein etwas dichteres
Gebiet, das wir heute Zellkern nennen. Der erste, der dies als eine regelmäßige
Erscheinung erkannte, war der schottische Botaniker Robert Brown (1773-1858).
Als der deutsche Botaniker Matthias Jakob Schleiden (1804-1881) einige
Jahre später eine Zelltheorie formulierte, schenkte er dem Zellkern
große Beachtung. Er war davon überzeugt, dass dieser etwas
mit der Zellteilung zu tun hatte.
Eine Hilfe für die damalige Mikrobiologie kam aus der Chemie. Unter
der Führung des französischen Chemikers Marcelin Berthelot (1827-1907)
lernte man schnell, organische Substanzen herzustellen, die in der Natur
nicht existierten. Viele dieser neuen Chemikalien waren farbenprächtig.
Wenn nun das Zellinnere nicht homogen wäre, so dachte man, dann bestünde
eventuell die Möglichkeit, dass sich Teile davon färben ließen.
Eine Reihe von Biologen experimentierte in dieser Richtung. Der erfolgreichste
war der deutsche Zellforscher Walter Flemming (1843-1905). Flemming untersuchte
Tierzellen und beobachtete, dass sich im Zellkern Teile befanden, die
sich gut färben ließen. Flemming nannte dieses Material „Chromatin“
(nach dem griechischen Wort für Farbe). In den siebziger Jahren des
19. Jahrhunderts konnte Flemming die Veränderungen des Chromatins
darstellen, die während der Zellteilung vor sich gingen. Er entdeckte,
dass das Chromatin während der Zellteilung zu länglichen Gebilden
zusammenfließt, die heute „Chromosomen“ („Farbkörper“)
genannt werden. Da diese fadenähnlichen Chromosomen so charakteristisch
für die Zellteilung waren, nannte Flemming den Vorgang „Mitose“
(von griechisch: „Faden“).
1887 veröffentlichte der belgische Zytologe Eduard van Beneden (1846-1910)
neue Erkenntnisse über Chromosomen. Er konnte zeigen, dass jede Tier-
und Pflanzenart eine charakteristische Anzahl besitzt. So weiß man
beispielsweise, dass jeder menschliche Zellkern 46 Chromosomen hat. Weiterhin
entdeckte Van Beneden, dass bei der Bildung von Ei- und Samenzellen die
Zahl der Chromosomen halbiert wird. Jede menschliche Fortpflanzungszelle
enthält nur 23 Chromosomen. 1902 wies der amerikanische Zellbiologe
Walter Sutton (1876-1916) darauf hin, dass sich die Chromosomen wie die
Mendelschen Erbfaktoren verhalten. Diese wichtige Erkenntnis führte
schließlich zur Synthese der Mikrobiologie mit der eben erst erwachten
Genetik. Die Basis für die moderne Molekularbiologie des 20. und
21. Jahrhunderts war somit gelegt.
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