Der Begriff "lebensunwertes Leben" bewirkt bei humanistisch und christlich
gesinnten Menschen ein schaudervolles Gefühl. Es gibt keine Diskussion
darüber, dass es Starke und Schwache, Gesunde und Kranke, Intelligente
und geistig Behinderte gibt. Wir Menschen sind verschieden, und zwar in
einem größeren Ausmaß, als wir noch vor wenigen Jahren
zu wissen glaubten. In unseren freien und demokratischen Gesellschaften
gibt es jedoch einen Grundkonsens darüber, dass menschliches Leben
nicht zu bewerten ist. Bei aller Verschiedenheit, bei allen menschlichen
Schwächen, bei all den Alltagsabgründen - vom Neid über
Geiz bis hin zum Einsatz der Ellbogen - besteht bei den toleranten und
humanistisch gesinnten Zeitgenossen Einigkeit darüber, dass Menschen
auf Grund von Alter, Geschlecht oder Hautfarbe keiner Sonderklasse zugeordnet
werden sollen.
Schon bald wird dieses biologische Toleranzprinzip fallen. Kürzlich
ging eine Meldung durch die Presse, die wenig beachtet wurde. Der Londoner
"Daily Telegraph" hatte berichtet, dass die englische Regierung spezielle
Gentests zulassen werde, die Risiken für bestimmte Krankheiten offen
legen können. Versicherungsunternehmungen sollen damit ab Herbst
2000 in die Lage versetzt werden, genetisch manifestierte Krankheitsrisiken
abschätzen zu können. Im Klartext: Versicherungsunternehmungen
dürfen Gentests durchführen und bei entsprechenden Ergebnissen
die Versicherungsprämien anpassen.
Die Papiere der Ethikkommissionen sind damit Abfall geworden. In den
Achtzigerjahren waren angesichts des Siegeszuges der modernen Genetik
Arbeitsgruppen gebildet worden, die den jeweiligen Gesetzgebern Vorschläge
zur gesetzlichen Regulierung der modernen Biologie unterbreiten sollten.
In einem "Bericht des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung
an den (österreichischen) Nationalrat" (1986) liest man u.a.: "Medizinisch-ethisch
nicht vertretbar sind: Genomanalysen ... z.B. für Eignungs- und Einstellungsuntersuchungen,
für Versicherungsabschlüsse u.ä.". In einem Bericht einer
deutschen Parlaments-Arbeitsgruppe (1984) heißt es: "Neue Probleme
könnten sich auch dann ergeben, wenn Versicherer den Abschluss von
Kranken- und Lebensversicherungen ... vom Vorliegen einer genetischen
Analyse abhängig machen. Hierdurch würde in einem wesentlichen
Bereich der Gemeinschaft der Versicherungsnehmer der Charakter einer Risiko-
und Solidargemeinschaft genommen."
ÖsterreichsRegierung wird zur Zeit vom Ausland "genau beobachtet",
wie man beinahe tagtäglich vernehmen kann. Diese eifrige Beobachtung
verschließt den Blick darauf, dass Englands Versicherungen wahrscheinlich
ab Herbst 2000 den biologischen Wert menschlichen Lebens taxieren dürfen.
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