Die Schülersprüche sind bekannt: Wenn es grün ist oder
sich schlängelt, ist es Biologie, wenn es blitzt oder nicht funktioniert,
ist es Physik und wenn es stinkt oder giftig ist, dann ist es Chemie.
Chemie hat unter den Naturwissenschaften den schlechtesten Ruf. „Chemiefreie
Landwirtschaft“ wird ebenso propagiert wie „chemiefreie
Kosmetik“, „chemiefreie Reinigungsmittel“ und andere
gröbere Missverständnisse. Chemie - so der Tenor – ist
ein anderer Name für Gift. In Wahrheit ist alles Chemie. Proteine,
lebensrettenden Medikamente, Kunststoffe, Legierungen, Farben, sie alle
sind Teile und Produkte einer Chemie, ohne die unsere moderne Welt nicht
mehr auskommt.
Chemie ist nach landläufiger und nicht auszurottender Meinung
das Zusammenschütten zweier giftiger Flüssigkeiten, worauf
eine dritte noch giftigere entsteht. Dass Chemie etwas ganz anderes
sein kann, hat der diesjährige Nobelpreis für den deutschen
Chemiker Gerhard Ertl gezeigt. Bereits in den Sechzigerjahren hat sich
Ertl einen Namen gemacht, indem er chemische Reaktionen an festen Oberflächen
untersucht hat. Zu dieser Art chemischer Reaktionen zählt beispielsweise
das Rosten eines unedlen Metalls. Über 500 wissenschaftliche Veröffentlichungen
gehen auf Ertls Konto, eine beachtliche Leistung sowohl an Zahl als
auch an Qualität. Ertls Arbeit wird in Deutschland auch deshalb
so stark beachtet, weil er sein ganzes Leben lang in Deutschland gelebt
und geforscht hat. In Wissenschaftskreisen wird ja das Märchen
kolportiert, wonach man ohne USA-Erfahrung keinen Nobelpreis bekommen
kann. Dabei hat sich schon vor Jahren der Trend abgezeichnet: Deutschland
hat wieder zur Forschungs-Weltspitze aufgeschlossen, Österreich
ist zur gleichen Zeit – bedingt durch eine eher desinteressierte
Öffentlichkeit und eine ineffiziente Politik - beinahe hoffnungslos
zurückgefallen.
Ertls Geduld und Fleiß wurde relativ spät – an seinem
71. Geburtstag - belohnt. Seine Arbeit hat dazu beigetragen, viele wichtige
industrielle Verfahren besser zu verstehen, wie etwa die Herstellung
von Kunstdünger mit Hilfe von Katalysatoren. Auch die Funktionsweise
von Abgaskatalysatoren oder Brennstoffzellen können wir durch Ertls
Forschungstätigkeit besser begreifen.
Im Laufe der Jahre hatte sich Ertl auch intensiv mit dem Haber-Bosch-Verfahren
zur Ammoniaksynthese beschäftigt. 1918 hatte der Deutsche Fritz
Haber - übrigens Namensgeber des Instituts, an dem Ertl arbeitet
- für die Synthese von Ammoniak den Chemienobelpreis erhalten.
Ertl konnte Jahrzehnte später zeigen, wie der für die Reaktion
notwendige Katalysator im Detail funktioniert und welche chemischen
Reaktionen ablaufen.