Der Nobelpreis für Medizin und Physiologie wurde zum wiederholten
Mal für neue Erkenntnisse in der Genetik, insbesondere in der Stammzellenforschung,
vergeben. Damit hat sich die Genetik als die Königsdisziplin in
der Biologie etabliert, und die Stammzellenforschung wurde weltweit
als ein wichtiger Faktor in der Medizin anerkannt.
Seit fast viertausend Millionen Jahren gibt es Zellen auf der Erde.
Alle Lebewesen bestehen daraus. Am Anfang steht (fast) immer die befruchtete
Eizelle. Wenn sie sich teilt, entstehen der Reihe nach zwei, vier, acht
usw. Tochterzellen. Zu Beginn sehen diese nicht nur gleich aus, sie
haben auch alle die gleichen Fähigkeiten. Trennt man in diesem
frühen Stadium eine Zelle ab, so kann daraus ein eigenes Lebewesen
entstehen. Manchmal erfolgt diese Trennung spontan, dann entstehen eineiige
Zwillinge. Diese frühen Zellen nennt man Stammzellen. Sie können
neue Stammzellen bilden, oder aber es folgt eine unterschiedliche Entwicklung,
genannt „Differenzierung“. Dies ist notwendig um ein Lebewesen
aus Muskel-, Nerven-, Haut- und Bindegewebszellen entstehen zu lassen.
Stammzellen sind für die Forschung äußerst begehrte
Objekte, weil alle Gene gewissermaßen auf „Standby“
geschaltet sind. Man kann sie zu diesem frühen Zeitpunkt fast nach
Belieben manipulieren. Bei differenzierten Zellen funktioniert das nicht
mehr oder nur in eingeschränktem Maß.
Das klingt alles einfach, die Praxis ist jedoch kompliziert. Ein Gen
abzuschalten bedeutet nicht, dass man nun etwas ganz Bestimmtes erwarten
darf. Es kann beispielsweise gar nichts passieren, es kann aber auch
zum Tod der Zelle führen. Computerprogrammierer können ein
Lied von den komplexen Wechselwirkungen singen. Man ändert ein
Bit im Computerprogramm, worauf entweder nichts oder wenig passiert,
oder aber der Rechner stürzt ab.
Der Nobelpreis für Medizin ging in diesem Jahr an die beiden amerikanischen
Forscher Mario Capecchi und Oliver Smithies sowie an den britischen
Wissenschaftler Sir Martin Evans. Sie erhalten die Auszeichnung für
ihre Arbeiten zur Genmodifikation bei Mäusen. Die drei Biologen
hatten eine Technik entwickelt, mit deren Hilfe in Stammzellen von Labormäusen
gezielt Gene ausgeschaltet werden können, um deren Funktion zu
entschlüsseln. Die Tiere bekamen die wenig schmeichelhafte Bezeichnung
"Knock-out-Mäuse“. Weltweit gibt es bereits Zigtausende
dieser Tiere, die inzwischen von eigenen Firmen produziert werden. Man
kann an diesen Mäusen testen, welche Auswirkung das Abschalten
eines Gens zur Folge hat. Es ist zu erwarten, dass die Forschungsergebnisse
eines Tages bei Therapien noch unheilbarerer Krankheiten zum Einsatz
kommen werden.