Das einzig Positive an der Diskussion um die Gesamtschule ist ein Bekenntnis
zur Vielfalt. Die gängigen Schlagwörter lauten „gemeinsame
Schule der Vielfalt“ und „Vielfalt statt Einfalt“.
Die Vertreter der Gesamtschule befürworten eine „innere Differenzierung“,
also eine homogene Schule mit individueller Förderung. Die Vertreter
der Erhaltung der Gymnasien – in Wahrheit geht es ja um die Abschaffung
des klassischen Gymnasiums – streben eine innere Reform des bestehenden
Schulsystems an. Wer nun meint, die Diskussion berühre wenigstens
einige der über tausend offenen Fragen, wird enttäuscht. Die
Befürworter der Gesamtschule reden einzig und allein von der angeblich
zu frühen Entscheidung der Zehnjährigen für eine höhere
Schule. Dass diese Frage gar keine ist, weil auch Hauptschüler
sich für ein Oberstufengymnasium („BORG“) entscheiden
können, wird nicht erwähnt. Würden mehr Oberstufengymnasien
angeboten werden, wäre die Frage zur Gänze erledigt. Nicht
diskutiert wird, dass beim PISA-Sieger Finnland ein Schüler finnisch
beherrschen muss, andernfalls kann er keine Regelschule besuchen. Unter
den Tisch fällt auch, dass Gesamtschulen in anderen Ländern,
wie etwa in Großbritannien, jämmerlich gescheitert sind.
Weiters wird nicht erwähnt, dass auch in Finnland Kinder aus Migrantenfamilien
ein über dreimal so hohes Risiko haben, vorzeitig die Schule zu
verlassen als finnische Kinder. Zu schlechter Letzt wird über die
Gesamtschule geredet, ohne annähernd zu wissen, wie sie aussehen
soll. Die aktuellen Schulversuche in Wien sind unausgearbeitete Schnellschüsse.
Nehmen wir an, die österreichische Gesamtschule bekäme organisatorische
und inhaltliche Konturen. Dann bräuchte man ein Ministerium, das
in der Lage wäre, diese Monsterreform umzusetzen. Vor zwei Jahren
wurde vom Unterrichtsministerium ein Projekt gestartet, das zum Ziel
hat, die Erste Hilfe im Regelunterricht zu verankern. Mitgearbeitet
haben Professoren und Dozenten der Wiener Universitätsklinik für
Notfallmedizin, der ÖAMTC, die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt
(AUVA), die das Projekt auch mitfinanziert hat, das Jugendrotkreuz sowie
über 20 Lehrerinnen und Lehrer aus ganz Österreich. Das Projekt
stand kurz vor dem erfolgreichen Abschluss, seit Monaten sind aber keine
Informationen mehr erhältlich. Das teure Vorzeigeprojekt ist im
Ministerium einfach verschlampt worden. Diese triste Behörde soll
die größte Bildungsreform aller Zeiten durchführen?
Es darf hämisch gelacht werden.
Unter einer „Flatline“ versteht man die waagrechte Linie
auf einem EKG, wenn das Herz still steht. Die Diskussion um die Gesamtschule
ist zurzeit völlig niveaulos - eine intellektuelle Flatline.