Die Evolutionsgenetik ist ein komplexes und hoch spezialisiertes Forschungsgebiet,
die entsprechende Fachliteratur ist meist nur den Biologen zugänglich.
Eines der zahllosen Experimente sei hier – leicht verständlich
– beschrieben. Ein beliebtes „Haustier“ der Genetiker
ist die Fruchtfliege Drosophila. Sie ist einfach zu züchten und
hat eine Generationsdauer von nur wenigen Tagen. Gibt man in einen so
genannten Populationskasten mit Tieren einer natürlichen genetischer
Vielfalt ein paar krüppelhafte Tiere, die nicht richtig fliegen
können und zudem blind sind, dann sind diese nach etwa drei bis
vier Generationen verschwunden. Ihre Gene sind kaum noch nachweisbar.
Man spricht hier von „Gegenselektion“. Züchtet man
aber genetisch monotone Tiere, was mit ein paar raffinierten Tricks
möglich ist, dann ist der Inhalt des Populationskastens zunächst
unauffällig. Man erkennt keinen Unterschied zu einer natürlichen
Population. Gibt man auch hier verkrüppelte Tiere dazu, dann werden
diese nicht gegenselektioniert sondern vermehren sich paradoxerweise
und bleiben im Genpool der Population längere Zeit erhalten.
Aus diesem und ähnlichen Experimenten lernen wir dreierlei. Erstens
hatte der große Biologe Charles Darwin Recht, als er bereits vor
150 Jahren die Bedeutung der natürlichen Vielfalt erkannte und
als Voraussetzung für die Evolution des Lebens beschrieb. Zweitens
ist in der Natur - auch unter Verwendung schlechten Materials - die
Vielfalt ein höheres Gut als die Monotonie, und drittens gilt in
der Natur nach wie vor das Prinzip des „Survival of the fittest“
(Überleben des am besten Angepassten); was oder wer jedoch besser
angepasst ist, bestimmt auf Dauer die Natur, nicht der Mensch. Ähnliche
Erfahrungen haben die Genetiker in den Versuchtierzuchtlabors gemacht.
Genetisch genormte Linien zu züchten ist schwierig und funktioniert
nur über eine begrenzte Zahl von Generationen.
Die Lehre aus allen Erkenntnissen ist unbestritten. Die Natur strebt,
seit es Tiere und Pflanzen gibt, nach Vielfalt. Die Natur ist nicht
nur bunt, sie wehrt sich gegen jeden Versuch, Einfärbigkeit zu
erzielen. Der Mensch bildet dabei keine Ausnahme. Unser Fortschritt
liegt in der Entwicklung von Wissenschaft und Demokratie, aber das Naturgesetz
der Verschiedenheit konnte und kann niemand aushebeln.
„Vielfalt“ scheint das Modewort des 21. Jahrhunderts zu
werden, weil sowohl Befürworter als auch Gegner der Gesamtschule
ähnliche Begriffe verwenden. Da ist von einer „gemeinsamen
Schule der Vielfalt“ die Rede, an anderer Stelle von einer „Vielfalt
statt Einfalt“. Worin liegt aber die Vielfalt wirklich? Der Teufel
steckt auch hier im Detail.