In den Wissenschaften gibt es Jahre der Ruhe, in denen sich wenig
tut. Dann aber kommen Zeiten, in denen einzigartige Entdeckungen gelingen.
In der Biologie, ins-besondere in der Paläontologie (das ist die
Lehre von den ausgestorbenen Lebewesen), erleben wir momentan eine aufregende
Phase.
Die Fortschritte in der Geologie haben dazu geführt, dass die Lage
der großen tektonischen Platten Jahrmillionen zurückverfolgt
werden können. Dieses Wissen machen sich Biologen zunutze und suchen
gezielt an bestimmten Stellen nach Fossilien. Nach dieser Methode ging
eine Forschergruppe vor, als sie nach einer Übergangsform zwischen
Fischen und Amphibien suchten. Übergangsformen sind Tiere oder Pflanzen,
die an der Schnittstelle zwischen Tier- oder Pflanzengruppen stehen und
die gemeinsame Abstammung nicht nur einzelner Arten sondern ganzer Tier-
und Pflanzenstämme beweisen. Die Zoologie und Botanik kennt bereits
eine Unzahl von Übergangsformen, die man früher auch „missing
link“ nannte. Die beliebtesten Unterrichtsbeispiele sind Tiere wie
der fossile Urvogel „Archaeopteryx“, der die Entstehung der
Vögel aus den Reptilien markiert und die gegliederte Schnecke „Neopilina“,
die eine lebende Zwischenform zwischen Schnecken und Ringelwürmern
darstellt. In der Botanik bilden Moose, Farne und Schachtelhalmgewächse
eine perfekt nachweisbare Reihe von Übergangsformen zwischen den
primitiven Algen und den hoch entwickelten Blütenpflanzen.
Die am meisten gesuchte Übergangsform war aber diejenige zwischen
Fischen und den bereits an das Landleben angepassten Amphibien. Eine Forschergruppe
suchte in den Sedimenten eines Flussbettes 1000 Kilometer südlich
des Nordpols. Diese Region befand sich vor etwa 400 Millionen Jahren am
Äquator. Das ist - so die Vermutung - jene Region, in der damals
die ersten Landlebewesen entstanden sein mussten. Die Annahme der Paläontologen
erwies sich als richtig. Die Expedition fand auf der Ellesmere-Insel im
Norden Kanadas ein sehr gut erhaltenes Fossil, das den Namen „Tiktaalik
roseae“ bekam. Tiktaalik lebte vor etwa 380 Millionen Jahren im
Devon-Zeitalter und besaß sowohl Kennzeichen eines Fisches als auch
eines Landwirbeltiers. Schädel, Hals, Rippen und vordere Gliedmaßen
ähneln stark denen von Landtieren, gleichzeitig findet man Flossen,
Schuppen und die primitiven Kiefer eines Fisches. Tiktaalik bildet damit
eine Verbindung zwischen dem fossilen Fisch „Panderichthys“
und dem bereits auf dem Land lebenden Ur-Amphibium „Ichtyostega“.
So schließt sich eine Wissenslücke nach der anderen. Es ist
nur noch eine Frage der Zeit, bis es auf der Landkarte der Evolution keine
weißen Flecken mehr gibt.