Thomas von Aquin, ein italienischer Schüler des Albertus Magnus,
genannt auch "Divus Thomas" (der göttliche Thomas) oder
"Doctor angelicus" (der engelgleiche Lehrer) lebte von 1224
oder 1225 bis 1274. Er war Philosoph, Theologe, Heiliger und Kirchenlehrer.
Unter seinen Schriften finden sich auch Anmerkungen über den Beginn
des Lebens. Zunächst hielt Thomas die Frauen für missglückte
Männer. Dass Mädchen überhaupt geboren werden, lag nach
dem großen Kirchenphilosophen an einem unguten männlichen Samen,
an einer defekten Gebärmutter oder an feuchten Südwinden (venti
australes), die Kinder von größerem Wassergehalt hervorbrächten,
nämlich Mädchen. Thomas übernahm auch die Vorstellung des
Aristoteles, wonach es drei Lebensformen gibt, pflanzliche, tierische
und menschliche. Die Menschwerdung im Mutterleib verläuft demnach
über ein pflanzliches und ein tierisches hin zum menschlichen Leben.
Dieses wird bei männlichen Embryonen 40 Tage und bei weiblichen erst
80 bis 90 Tage nach der Zeugung erreicht.
Heute wissen wir, dass menschliches Leben durch eine Vereinigung zweier
Zellen entsteht und über verschiedene embryonale Stufen bis zum ausdifferenzierten
Fötus führt. Insofern lag Aristoteles nicht weit neben der modernen
Biologie. Die spätere Frist der Menschwerdung der Mädchen muss
Thomas von Aquin irgendwann erfunden haben. Das ist bekanntlich keine
besonders elegante philosophische Methode.
Abtreibung und Kindstötung waren in einigen antiken Kulturen ein
letztes Mittel, wenn es zu einer ungewollten Schwangerschaft gekommen
war. In manchen Zivilisationen galt Abtreibung sogar als Verbrechen, während
man die Kindstötung tolerierte. Dies deshalb, weil oft nur neugeborene
Mädchen getötet wurden, während durch die Abtreibung auch
die männlichen Föten bedroht waren. Wer dieses anscheinend barbarische
Vorgehen unserer Vorfahren als völlig unethisch betrachtet und die
Ansichten Aristoteles' und Thomas' für zumindest ethisch fragwürdig
hält, sollte den Ursprung des Wortes "Ethos" beachten,
was soviel wie Sitte, Brauch oder Gewohnheit bedeutet.
Die Ethik hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt. Am deutlichsten
ist dies in der Biotechnologie zu erkennen. China hat die Stammzellenforschung
zur nationalen Ehrensache erklärt. Während im christlich geprägten
Europa die Stammzellenforschung aus ethischen Gründen gesetzlich
reguliert ist - in Deutschland und Österreich ganz besonders -, zeigt
China in diesem Bereich eine bereits stärkere Dynamik als die USA.
Ethische Grenzen im Bereich Biotechnik kennt man in China kaum, und die
Zahl der zur Verfügung stehenden menschlichen Eizellen und Embryonen
scheint unerschöpflich.
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