"Ich glaube nur das, was ich sehe", behaupten Zeitgenossen, die
stolz darauf sind, nur das für wahr zu halten, was sie mit eigenen
Augen sehen. Die aufgeklärten Generationen möchten sich kein
X für ein U vormachen lassen, die "virtuelle Realität"
bleibt dem Computer vorbehalten. "Virtuell" (lateinisch = scheinbar)
bezeichnet eine Wirklichkeit, die nur vermeintlich existiert. Die virtuelle
Realität ist zu einem populären Schlagwort der Jahrtausendwende
geworden. Ist jedoch wirklich nur die Computerwelt virtuell?
Bereits vor rund 200 Jahren wurde ein Bericht des englischen Naturforschers
John Dalton veröffentlicht, wonach "... mein Gesichtssinn nicht
dem anderer Personen gleicht". Dalton beschäftigte sich mit
vielen Themen, unter anderem auch mit Botanik und Blütenfarben. Dabei
stellte er fest, dass die Menschen Farben "falsch benannten".
Er schreibt: "Die Bezeichnung rosa' oder nelkenfarbig'
schien mir im Vergleich zur Farbe der Nelken wohl angebracht. Doch wenn
der Ausdruck rot' statt rosa' verwendet wurde, hielt ich es
für höchst unangemessen. Nach meiner Empfindung sollte es blau
gewesen sein, weil rosa und blau mir näher verwandt erschienen. Hingegen
haben rosa und rot kaum eine Beziehung. ... Bezüglich der Farben
weiß, gelb oder grün stimmte ich leicht dem entsprechenden
Ausdruck zu. Doch blau, purpur, rosa und karmesin erschienen mir wenig
unterscheidbar, alle konnten sich nach meiner Vorstellung als blau bezeichnen
lassen. Ich habe oft ernsthaft Leute gefragt, ob eine Blume blau oder
rosa wäre, doch wurde dies allgemein als Scherzfrage betrachtet."
John Dalton hatte an sich selbst und später an seinem Bruder die
erblich bedingte Farbenblindheit entdeckt. Da Farben in der Realität
nichts anderes als Wellenlängen elektromagnetischer Strahlen sind,
und erst von unserem Hirn interpretiert werden, sehen Farbenblinde aufgrund
anderer Nervenschaltungen die Farben anders als die meisten Menschen.
Was ist hier wahr? Wir wissen lediglich, dass es (nicht nur hier) unterschiedliche
Wahrnehmungen gibt.
Schon vor Jahren entdeckte man zufällig, dass der Geschmack einer
chemischen Substanz namens "Phenylthiocarbamid" (kurz "PTC")
von manchen Menschen als bitter empfunden, von anderen jedoch nicht wahrgenommen
wird. Es stellte sich später heraus, dass die Fähigkeit, bestimmte
Substanzen mit der Zunge wahrzunehmen, erblich bedingt, also angeboren
ist. Die Schmecker empfinden anders als die Nicht-Schmecker. Die Chemikalie
ist real, die Wahrnehmung ist relativ. Unsere Sinne gaukeln also gelegentlich
virtuelle Realitäten vor.
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