"So hat es auch schon damals ... Leute gegeben, die den Zusammenbruch
der europäischen Kultur voraussagten, weil kein Glaube, keine Liebe,
keine Güte mehr im Menschen wohne, und bezeichnenderweise sind sie
alle in ihrer Jugend- und Schulzeit schlechte Mathematiker gewesen. Damit
war später für sie bewiesen, dass die Mathematik, Mutter der
Naturwissenschaft, Großmutter der Technik, auch Erzmutter jenes
Geistes ist, aus dem schließlich Giftgase und Kampfflieger aufgestiegen
sind."
Die Worte stammen aus dem Roman "Der Mann ohne Eigenschaften"
des österreichischen Philosophen, Mathematikers und Maschinenbauingenieurs
Robert Musil. Musil beschreibt hier genau jene Geisteshaltung, die seit
Beginn der Moderne das Denken intellektueller Kreise in deutschsprachigen
Ländern vergiftet hat, und das mit wenigen Worten umschrieben werden
kann: Mathematik und Naturwissenschaften sind geringes Bildungsgut.
Man stelle sich folgende Situation vor. Ein Vortragender spräche
über Bildung und sagte dabei unter anderem: "Wenn man aber keinen
Schimmer hat, worum es in der Romantik geht oder wie es um das Verhältnis
von Nietzsche zu Richard Wagner bestellt ist, oder was die Blechtrommel
ist, obwohl die Bezeichnung bei Günter Grass vorkommt, dann wird
niemand daraus auf mangelnde Bildung schließen. So bedauerlich es
manchem erscheinen mag: Musikalische und literarische Kenntnisse müssen
zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht."
Die Zuhörer würden sich im Falle solcher Worte zu Recht denken,
der Vortragende sei ein Schwachkopf.
Wir schlagen nun den unterhaltsamen Bestseller "Bildung - alles,
was man wissen muss" des Literaturprofessors Dietrich Schwanitz auf.
Im Schlussteil findet sich folgender Absatz: "Wenn man aber keinen
Schimmer hat, worum es im 2. thermodynamischen Hauptsatz geht oder wie
es um das Verhältnis der schwachen und starken Wechselwirkung ...
und der Schwerkraft bestellt ist, oder was ein Quark ist, obwohl die Bezeichnung
aus einem Roman von Joyce stammt, dann wird niemand daraus auf mangelnde
Bildung schließen. So bedauerlich es manchem erscheinen mag: Naturwissenschaftliche
Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören
sie nicht."
Unsere Schulen, insbesondere unsere Gymnasien, bieten (noch) eine allumfassende
kultur- und naturwissenschaftliche Bildung, die ein weites Land darstellt
und von den Naturwissenschaften über die Literatur bis hin zur Musik
reicht. Nach wie vor nehmen wir aber staunend zur Kenntnis, welcher Einfältigkeit
erwachen kann, wenn Vertreter der kulturellen Hocharroganz verkünden,
worin Bildung zu bestehen habe.
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