Die Chemiker und Physiker standen vor einem Rätsel. Nachdem die
Struktur der Atome einigermaßen aufgeklärt worden war, sollte
ein Heliumatomkern viermal, ein Kohlenstoffatomkern zwölfmal so schwer
sein wie der Kern eines Wasserstoffatoms. Das war aber nicht der Fall.
Die Kerne waren deutlich leichter als erwartet. Am anderen Ende des Periodensystems
der Elemente war der umgekehrte Effekt beobachtbar. Die Uranatomkerne
erwiesen sich schwerer als erwartet. Dieses Phänomen nennt man allgemein
„Massendefekt“. Albert Einstein lieferte mit seiner speziellen
Relativitätstheorie die Erklärung: Energie und Masse sind äquivalent.
Die Konsequenzen aus der Theorie waren den Naturwissenschaftlern rasch
klar geworden. Könnte man einen Uranatomkern spalten, dann müsste
sich Masse nach der Formel E = m c2 in eine gigantische Menge an Energie
verwandeln.
Die meisten Physiker und Chemiker waren sich zunächst einig, dass
Einstein zwar Recht hatte, eine technische Umsetzung aber unmöglich
sei. Nachdem Otto Hahn 1938 Uran-Atomkerne zerlegt hatte, und im Juli
1945 die erste Atombombe in New Mexiko explodiert war, sah man die Sache
anders. Die Relativitätstheorie hatte sich jedenfalls als richtig
erwiesen. Das war aber nicht alles. Die Energiegewinnung durch Spaltung
schwerer Atomkerne wie Uran war beachtlich genug, eine Verschmelzung leichter
Atomkerne sollte aber noch wesentlich größere Energiemengen
freisetzen. Auch diese technische Hürde wurde genommen. 1951 wurde
im Rahmen der „Operation Greenhouse“ die erste amerikanische
Wasserstoffbombe gezündet. England, die Sowjetunion, Frankreich und
China sollten folgen.
Nach dem 2. Weltkrieg bemühte man sich, die Atomkernspaltung gewissermaßen
zu zähmen. Das war die Geburt der Kernkraftwerke, doch diese können
den Energiebedarf der Industriestaaten nur in geringem Ausmaß abdecken.
Das zur Kernspaltung benötigte Uran-235 kommt in der Natur nur sehr
begrenzt vor, und eine Plutoniumwirtschaft schafft enorme Gefahren für
Ökologie und Demokratie, die einen Weiterbetrieb dieser Technik als
verantwortungslosen Hasard erscheinen lässt.
Von der Entwicklung der Fusionsreaktoren erwartet man sich seit Jahrzehnten
eine Lösung der Energiefragen. Ob solch ein Reaktor jemals routinemäßig
laufen wird, und welche Gefahren drohen, ist noch kaum bekannt. Trotzdem
sollte man Grundlagenforschungen dieser Art nicht ausschließlich
negativ beurteilen. Die Finanzierung der Fusionsforschung durch die Europäische
Union hat mit einer ungerechtfertigten finanziellen Unterstützung
der Atomkraftwerkslobby, wie kürzlich mehrfach zu lesen war, nichts
zu tun.