Der diesjährige vorweihnachtliche Sachbuchtip ist „Die andere Bildung“
des deutschen Universitätsprofessors Ernst Peter Fischer (Verlag
Ullstein). Anlass zum Verfassen dieses Buches war ein Satz von Dietrich
Schwanitz in seinem Bestseller „Bildung“, worin es unter anderem
heißt: "Wenn man aber keinen Schimmer hat, worum es im 2. thermodynamischen
Hauptsatz geht oder wie es um das Verhältnis der schwachen und starken
Wechselwirkung ... und der Schwerkraft bestellt ist, oder was ein Quark
ist, … dann wird niemand daraus auf mangelnde Bildung schließen.
So bedauerlich es manchem erscheinen mag: Naturwissenschaftliche Kenntnisse
müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören
sie nicht."
Diese Ansicht ist einfältig. Selbstverständlich zählen
die Naturwissenschaften genauso wie Musik, Geschichte und andere Kategorien
zum modernen Bildungskanon. Bildung und Wissen sind bekanntlich zweierlei.
Wenn einem Biologen eine Tier- oder Pflanzenart nicht auf Anhieb einfällt,
lautet die Reaktion zumeist „das müssten Sie doch wissen“.
Die Wahrheit ist jedoch ernüchternd. Die Wissenschaft hat bisher
über eine Million Pflanzenarten beschrieben, ein hervorragender Botaniker
kann etwa Zehntausend davon richtig zuordnen. Das ist nur 1 Prozent der
bekannten Artenzahl in der Botanik, ganz zu schweigen von der Tierwelt
mit ihren 2 Millionen Arten. Bildung ist wegen des explodierenden Wissens
längst keine Ansammlung loser Kenntnisse mehr sondern es ist die
Fähigkeit, neues Wissen richtig einordnen und angebliche Sensationsmeldungen
wie etwa „Relativitätstheorie widerlegt“ in die Kategorie
Abfall einreihen zu können.
Einer von vielen Gründen, der dafür spricht, die natur- von
der kulturwissenschaftlichen Bildung nicht zu trennen, liegt in der Beschäftigung
mit der Geschichte. Was in der Vergangenheit liegt, kann theoretisch mit
Hilfe historischer Dokumente beschrieben werden. Nun reicht die Vergangenheit
der Menschheit weit über die ältesten überlieferten Quellen
hinaus, und die Geschichte des Lebens beginnt sogar Milliarden Jahre vor
unserer Zeit. Historiker, Anthropologen, Paläontologen, Geologen,
Genetiker, Physiker, Astronomen und andere bauen daher gemeinsam Stück
für Stück ein Bild unserer Vergangenheit zusammen.
„Die andere Bildung“ ist in diesem Sinne ein gut geschriebenes
Sachbuch, das auf einfache aber kompetente Weise die wesentlichen Lehrinhalte
der Naturwissenschaften beschreibt, Querverbindungen zwischen Natur- und
Kulturwissenschaften aufzeigt und im Schlusskapitel dafür plädiert,
die Wissenschaft auch und vor allem als Kunst zu sehen.
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