„Wenn ich einen Tag nicht übe, merke ich es. Wenn ich zwei Tage
nicht übe, merken es meine Freunde. Wenn ich drei Tage nicht übe,
merkt es das Publikum.“ Diese Worte stammen vom großen Komponisten
und Pianisten Franz Liszt und zeigen eine genauso alte wie ewige Wahrheit: Man
kann nur das, was man regelmäßig trainiert - um es in der Sprache
des Sports auszudrücken. Noch nie hat jemand gut Lesen, Schreiben, Rechnen,
ein Handwerk betreiben, Klavier spielen, Bilder malen, eine Fremdsprache beherrschen
oder Schifahren und Fußball spielen gelernt ohne regelmäßige
Übung. Auch „Wunderkinder“ wie Mozart haben hart an sich gearbeitet,
bis sie perfekt waren.
Auf diese Binsenweisheit sei deshalb hingewiesen, weil nach den für Deutschland
und Österreich ernüchternden Ergebnissen der letzten PISA-Studie („Programme
for International Student Assessment“) einige Schnell- und Kurzdenker
einen radikalen Umbau des Bildungssystems forderten. Ein dümmeres Ansinnen
kann man kaum stellen, um es maßvoll auszudrücken.
Erstens ist die Qualität der Bildung in einem Land auf viele Ursachen
zurückzuführen, und diese reichen von der Motivation der Lehrer
über die Durchlässigkeit des Schulsystems bis hin zur Bereitschaft
der Eltern, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen. Lesen, schreiben
und rechnen lernt man in der Schule, man kann es dort auch in begrenztem
Ausmaß trainieren, aber das wahre Training erfolgt zu Hause. Das
beginnt beim guten alten Vorlesen, geht über die Kontrolle der Hausübungen
und endet bei lesenden Müttern, Vätern und Großeltern,
die ihren Kleinen immer ein Vorbild sind - im Guten wie im Schlechten.
Ein weiterer Grund, der gegen einen „radikalen Umbau“ des Bildungssystems
spricht, ist die Tatsache, dass Wissen sich selten "radikal" ändert.
Neues Wissen baut in der Regel auf altem Wissen auf, erweitert das alte oder
erklärt es zu einem Spezialfall einer neuen Theorie. Revolutionen gab es
in den Wissenschaften eher spärlich, wie etwa durch Kopernikus, Galilei
und Newton. Die Relativitätstheorie hat die alte physikalische Mechanik
nicht abgeschafft, sondern zu einem Sonderfall gemacht. Auch die Quantenelektrodynamik
hat die klassische Elektrizitätslehre nicht beseitigt, sondern nur eingegrenzt.
Das gleiche gilt auch für die Erziehungswissenschaften. Unser Bildungssystem
muss daher keineswegs radikal revolutioniert, wohl aber reformiert werden.
Die Reparaturen ungestümer Radikalismen waren stets um ein Vielfaches
teurer als es sinnvolle Reformen gewesen wären. Man kann es auf den Punkt
bringen: Wissen und Wissenschaften werden seit Menschengedenken durch Reformen
erneuert. Radikale Umwälzungen sind fast immer oberflächlichen Ideologien
vorbehalten.
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