Die österreichische Bildungsministerin Elisabeth Gehrer hat im September
2003 verkündet, dass es in Österreich naturwissenschaftliche
Defizite gibt, die behoben werden müssten. Die Erkenntnis ist löblich,
aber wir wollen die Situation einmal nüchtern betrachten.
Nicht wenige deutschsprachige Geisteskrieger gaben sich in den letzten
Jahrzehnten weder gedanklich noch sprachlich Mühe, naturwissenschaftliche
Defizite zu verbergen. Es galt lange Zeit als „cool“, mangelnde
Kenntnisse in Mathematik oder Physik offen zuzugeben. Die Öde ist
tatsächlich mit Händen zu greifen, wenn der seltene Fall eintritt,
dass im Party-Plauderton über Naturwissenschaften geredet wird. Da
wird beispielsweise der genetische Code mit der genetischen Information
in einen Topf geworfen, da wird etwas für einen wissenschaftlichen
Beweis gehalten, was in Wahrheit nur plausibel gemacht wurde, und da wird
aus der Relativitätstheorie eine postmoderne Lächerlichkeit
(„alles ist irgendwie relativ“) gemacht. Im Gegensatz dazu
könnte es sich kein gebildeter Mensch erlauben, Gottfried Helnwein
für einen Barockmaler, Elvis Presley für einen Musiker der Romantik
oder Karl May für einen Philosophen der Aufklärung zu halten.
Dieser kulturwissenschaftliche Unsinn entspricht etwa den erwähnten
naturwissenschaftlichen Fehlurteilen.
Das von der Frau Bildungsministerin angesprochene naturwissenschaftliche
Defizit hat mehrere Gründe. Die wichtigste Ursache ist im Exodus
von Biologen und Physikern während des Nationalsozialismus zu sehen.
Nicht nur Juden emigrierten nach Übersee, auch qualifizierte Nichtjuden
wanderten wegen des intellektuellen Infarkts im Dritten Reich ab und hinterließen
ein geistiges Loch. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die freigewordenen
intellektuellen Nischen zunächst von Philosophen und Soziologen besetzt.
Das war die Zeit von Theodor Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse,
Jürgen Habermas und anderen. Wissenschaft war zu jener Zeit gleichbedeutend
mit Erkenntnistheorie, Marxismus und Gesellschaftskritik.
Den Naturwissenschaften wurden damals - teils zu Recht, teils zu Unrecht
- Dinge wie die Atombombe und das Ozonloch unterschoben. In der Zwischenzeit
ist eine Wende eingetreten. Die Naturwissenschaften werden als Notwendigkeit
gesehen, ihre Bildungsinhalte finden Anerkennung. Wurden vor einer Generation
Begriffe wie Genetik oder Elektronik noch mit Achselzucken abgetan, so
bewirken sie heute Interesse. Es ist beachtlich, dass man im Bildungsministerium
plötzlich erkannt hat, dass das noch nicht ausreichend ist. Ein Problem
liegt bloß darin, dass in den letzten Jahren Stundenkürzungen
im naturwissenschaftlichen Bereich der Schulen vorgenommen worden sind.
Was nun?
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