Sisyphos war der Gründer und Erbauer von Korinth. Als König
herrschte er in seiner schönen Stadt. Irgendwann wagte er es, den
Unwillen des mächtigen Zeus zu erregen. Er verriet den liebestollen
Gott, der gerade eine Nymphe entführt hatte, an deren Vater. Zeus
beschloss, Sisyphos zu bestrafen, und schickte ihm Thanatos, den Tod.
Sisyphos aber bezwang Thanatos, der erst vom Kriegsgott Ares wieder befreit
werden konnte. Durch eine weitere List entzog sich der schlaue Sisyphos
einer Strafe, genoss das Leben und feierte als ob es kein Ende gäbe.
Schließlich geriet Sisyphos doch in die Gewalt von Thanatos, und
die Strafe, zu der er verurteilt wurde, ist weltbekannt geworden. Sisyphos
musste einen schweren Stein einen Hügel hinaufzuwälzen. Unter
großer Mühe ging der Verurteilte ans Werk, stemmte sich mit
aller Kraft dagegen und zwang den mächtigen Block bis zur Höhe.
Schon glaubte er, ihn auf den Gipfel gebracht zu haben, da entrollte der
Felsen seinen Händen und stürzte in die Tiefe! Von neuem musste
Sisyphos sich ans Werk machen. Wieder schob er den Fels bis zur Höhe,
dort jedoch entglitt er ihm abermals. Seither schiebt Sisyphos die schwere
Last und erreicht sein Ziel doch nie.
Sisyphos ist nach Ansicht der Philosophen die Verkörperung der armseligen
Menschheit, die in einer vermeintlich sinnlosen Welt ihren Lebenssinn
mühsam zu erreichen sucht, um ihn freilich nie zu finden. Der französische
Existenzialist und Nobelpreisträger Albert Camus hat das Thema anders
gesehen. In seinem 1942 erschienen Essay „Der Mythos von Sisyphos“
schrieb er den großen Satz: "Il faut s'imaginer Sisyphe heureux."
(Frei übersetzt: „Man muss sich Sisyphos als glücklichen
Menschen vorstellen.“) Das Wälzen eines Steines kann einen
Menschen so sehr beschäftigen, dass er seine Existenzerfüllung
darin findet.
Die Menschheitsgeschichte gibt Albert Camus Recht. Alle großen
Wissenschaftler, die je gelebt haben, haben große Theorien entworfen,
aber nie alle Fragen beantworten können. Keine Wissenschaft, keine
Politik, keine Religion kann letzte Gewissheit bieten. Diese Einsicht
vermerkt sogar die Bibel im ersten Paulusbrief an die Korinther (2,9).
Die Neugierde, das Streben, das skeptische Hinterfragen – all das
kann Quelle eines glücklichen Lebens sein. Ein Skeptiker ist nicht
ein Mensch, der an seiner unfertigen Seele verzweifelt. Der wahre Skeptiker
ist – ähnlich wie Sisyphos - ein Mensch, den bereits das Streben
zum Ziel erfüllt, auch wenn dieses unerreichbar ist.
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