Kaspar Hauser wurde völlig verwahrlost am Pfingstmontag 1828 in
Nürnberg aufgefunden. Obwohl er bereits 16 Jahre alt war, konnte
er nur einen Satz sprechen. Außerdem fühlte er sich vom Tageslicht
geblendet. Später - nachdem er sprechen gelernt hatte - berichtete
er, dass er 10 Jahre einsam in einem dunklen Gefängnis zugebracht
hatte. In einem Brief, den Kaspar bei sich trug und der an einen Rittmeister
gerichtet war, stand der Satz "ich mache meinen Namen nicht kuntbar,
denn ich könnte gestraft werden". Die Gründe für Hausers
Kerkerjahre sind bis heute unbekannt. Eine mögliche Version lautet,
dass Kaspar Hauser ein Sohn adeliger Herkunft war, den man in den Kerker
steckte, weil er die Thronfolgepläne mächtiger Fürsten
durchkreuzte.
Kaspar Hauser nahm zunächst nur Wasser und Brot zu sich und lehnte
andere Speisen ab. Er hatte auch keine Scheu vor gespielten Attacken,
weil er offenbar nie die Bedeutung einer Bedrohung gelernt hatte. Ohne
Scheu griff er in eine Kerzenflamme, weil er nicht wusste, dass dies schmerzhaft
war. Hauser zeigte weder religiösen Glauben noch eine Gottesvorstellung.
Mediziner und Theologen beobachteten Hauser und schickten ihn an Höfe
und in Salons des In- und Auslands, wo er als wunderlicher Wilder bestaunt
wurde. Ab 1829 wurden mehrere Attentate auf Hauser verübt, die er
überlebte. 1833 wurde er bei einem Mordanschlag so schwer verletzt,
dass er kurz darauf starb. Der Kriminalfall Kaspar Hauser konnte nie geklärt
werden.
Unter einem Kaspar-Hauser-Versuch versteht man heute die isolierte Aufzucht
von Tieren. Diese Experimente dienen dazu herauszufinden, welche Fähigkeiten
angeboren und welche erworben sind. Ein Verhalten etwa, das ein Tier unmittelbar
nach der Geburt zeigt, muss genauso angeboren sein wie ein Verhalten,
das im Leben eines Tieres schon beim ersten Mal so vollendet erscheint
wie bei späteren Wiederholungen. Beim Menschen verbieten sich aus
ethischen Gründen solche Versuche. Man untersucht daher das Verhalten
von Neugeborenen und taubblind geborenen Kindern, die ohne optische und
akustische Reize aufwachsen.
Der größte Kaspar-Hauser-Massenversuch läuft freilich
in vielen Wohnungen. Es handelt sich um materiell wohlhabende aber emotionell
verwahrloste Jugendliche, die - ausgestattet mit High-Tech-Maschinen -
vor Computern, TV-Geräten und Stereoanlagen vereinsamen und seelisch
verwelken. Der Motor für jugendliche Aggressivität liegt nur
teilweise in Gewalt-Videos und Computerspielen. Eine wesentliche Ursache
liegt in den allein gelassen Kaspar Hausers, die ihre menschlichen Werte
aus Maschinen beziehen.
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