Die Natur gibt uns nicht nur nährstoffreiches Getreide und vitaminhaltige
Früchte. Sie betreibt auch zahllose Giftküchen, deren Produkte
seit Menschengedenken ihre Opfer gefordert hat. Bei der heimischen Herbstzeitlose
(Colchicum autumnale) bildet die Knolle im Herbst einen Blütenspross,
die Laubblätter und Früchte folgen erst im Frühjahr. Die
Herbstzeitlose enthält das bereits 1819 entdeckte Gift "Colchicin",
das die Chromosomen fixiert, so dass die Zellteilung abgebrochen wird.
Da alles Leben auf Zellteilungen beruht, ist Colchicin ein starkes Zellgift.
Die tödliche Dosis liegt bei 20 Milligramm, geringere Dosen können
entzündungshemmend wirken.
Ein anderes giftiges Alkaloid (eine Sammelbezeichnung für organische
stickstoffhaltige Verbindungen mit leicht basischem Charakter) ist das
"Atropin". Es ist in der Tollkirsche (Atropa belladonna) enthalten.
Atropin hemmt die Wirkung des "Parasympathicus" - jener Teil
des Nervensystems, der für Ruhe sorgt - und erregt den für Stress
zuständigen "Sympathicus". Atropin wurde über Jahrhunderte
auch als Droge verwendet. Im Atropin-Rausch hielten sich Menschen für
Zauberer und Hexen und glaubten, sie könnten fliegen. Viele dosierten
falsch und flogen direkt in den Tod.
Opium erhält man aus der unreifen Kapsel des Schlafmohns (Papaver
somniferum). Aus Opium wird Morphin gewonnen, das starke Schmerzen betäubt
und vorübergehend ein Hochgefühl und eine Befreiung von Furcht
und Sorge bewirkt. Während des Deutsch-Französischen Krieges
(1870/71) erprobte man Morphin als Mittel gegen Wundschmerzen. Damals
machte man Tausende Soldaten süchtig. Man forschte also nach neuen
und vermeintlich harmlosen Stoffen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde
eine Verbindung von Morphin und Essigsäure, das "Diacetylmorphin"
erzeugt. Dieses Morphin für Soldatenhelden ("heroic Morphin"
kurz "Heroin" genannt) besitzt die dreifache Potenz des reinen
Morphins und wurde verabreicht um Süchtige von der Morphinsucht zu
heilen. Die Folgen dieser Massenanwendung von Heroin waren fürchterlich.
Eine nicht enden wollende Reihe von Drogenabhängigen fällt seither
diesem auf pflanzlicher Basis erzeugten Supergift zum Opfer.
Oxalsäure in Rhabarberblättern, Blausäure in Bittermandeln
und im Bambus, Erucasäure in einigen Pflanzenölen, Hämagglutinine
in Bohnen, Myristicin in der Muscatnuss (2 ganze Nüsse können
tödlich sein) - die Liste der Giftstoffe in Pflanzen, Bakterien,
Pilzen und Tieren füllt ganze Bibliothekswände. Der Glaube,
dass alles Natürliche gesund sei, ist leider ein weit verbreiteter
Irrtum. Krankheit und Tod gehören schließlich genauso zur Natur
wie Gesundheit und Wohlbefinden.
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