Verlassene Städte pflegt man als Geisterstädte zu bezeichnen.
Verlassene Kraftwerke müßten infolgedessen "Geisterkraftwerke"
sein. Geisterstädte haben irgendwann eine Blütezeit erlebt.
Das Atomkraftwerk Zwentendorf hat jedoch nie geblüht und hat nie
eine Kilowattstunde Strom erzeugt. Zwentendorf war eine technische Totgeburt,
ein Geisterkraftwerk von Anbeginn.
Dem Ende des nuklearen Siedewasserreaktors Zwentendorf ging vor 20 Jahren
eine Volksabstimmung voraus, die beinahe in Vergessenheit geraten ist.
50,47 Prozent der Österreicher hatten damals gegen eine Inbetriebnahme
des neuen Kraftwerkes gestimmt. Nur 29.469 Österreicher hatten den
Ausschlag gegeben. Vor der Volksabstimmung im November 1978 tobte ein
Propagandakrieg der Befürworter und Gegner. Politiker, Techniker,
Biologen, Vereine, ja sogar kirchliche Organisationen meldeten sich zu
Wort und verkündeten - manchmal äußerst emotionell - ihre
Argumente.
Besonnene Stimmen mahnten zur Zurückhaltung. In einem Schreiben
der katholischen Aktion vom 2. Oktober 1978 hieß es: "Die katholische
Aktion Österreichs appelliert an alle Diskussionspartner, die Auseinandersetzung
sachlich, ... und ohne Entfachung unkontrollierter Leidenschaften zu führen."
Im gleichen Schreiben heißt es aber auch, daß man "im
Zweifel für jenen Weg eintreten soll, der kommenden Generationen
keine unwägbaren Risken aufbürdet." Im Klartext wurde für
ein "nein" zum Atomkraftwerk Zwentendorf geworben.
Der Verband der E-Werke Österreichs warb mit anderen Begründungen.
In einer Postwurfsendung vom Oktober 1978 hieß es: "Der Verbrauch
an elektrischer Energie steigt trotz Sparappellen ständig weiter.
Wasserkraft und herkömmliche Dampfkraftwerke können den Bedarf
alleine nicht mehr decken. Erst mit Zwentendorf ist die Versorgungssicherheit
wieder gewährleistet." Heute wissen wir, daß die Lichter
trotz des Verzichts auf die "friedliche Nutzung" der Kernenergie
in Österreich nicht ausgegangen sind. In Europa wird sogar zu viel
Strom produziert, vor allem aber zu viel Atomstrom.
In der Rückschau können die Befürworter der Kernergienutzung
eine Art Oscar für Fehlprognosen beanspruchen. In der Neuen Zürcher
Zeitung vom 23. Jänner 1980 las man über neue sowjetische Kraftwerkstypen
unter anderem: "Im Vergleich zu dem wesensverwandten Siedewasserreaktor
westlicher Bauart hat dieser sowjetische Druckröhrentyp einige Vorteile.
Der riesige Reaktordruckbehälter fällt weg, die Prozeßkanäle
können in jeder Maschinenfabrik hergestellt werden, die Kanäle
lassen sich individuell überwachen und - wie auch die Brennelemente
- während des Reaktorbetriebes austauschen." Die Rede war damals
von einem progressiven, modernen und sicheren Reaktortyp, dem "RBMK-1000"
Reaktor in Tschernobyl.
|