"Beim schwersten Atomunfall in der Geschichte Japans waren 49 Menschen
radioaktiv verstrahlt worden. Die Ursache des Unglücks war anscheinend
menschliches Versagen." So kurz war die Meldung einer Nachrichtenagentur,
als die Gefahr angeblich gebannt war.
Die unkontrollierte Kettenreaktion, bei der die bedauernswerten Arbeiter
in der japanischen Fabrik verstrahlt worden waren, entstand nach unabsichtlicher
Herstellung einer so genannten kritischen Masse von spaltbarem Material.
Zur Atomkernspaltung werden in der Regel die schweren metallischen Elemente
Uran-235 und Plutonium-239 verwendet. (Die Zahlen bezeichnen die Masse
der jeweiligen Atomkerne). Fügt man zwei unterkritische Massen rasch
zusammen oder quetscht man eine unterkritische Menge blitzartig auf eine
kritische Dichte zusammen, dann startet die atomare Kettenreaktion automatisch.
Ein freies Neutron - dies sind normalerweise elektrisch ungeladene Teilchen
des Atomkerns - trifft auf einen Atomkern und spaltet diesen. Die Bruchstücke
fliegen mit ungeheurer Wucht auseinander, und freiwerdende Neutronen spalten
andere Atomkerne. Dieser Vorgang kann sehr rasch vor sich gehen. Die Kettenreaktion
einer Atombombe verläuft innerhalb von tausendstel Sekunden.
In der japanischen Fabrik in Tokaimura wurde zwar eine Kettenreaktion
ausgelöst, diese verlief aber wesentlich langsamer. Die dabei entstandene
Strahlung war für Menschen äußerst gefährlich. Die
ersten Versuche, kritische Massen zu erzeugen, fanden im Frühjahr
1945 im Atombombenlabor in Los Alamos statt. Die Versuche waren lebensgefährlich,
und die beteiligten Forscher wussten das auch. Mehrmals gelang es, die
Versuche erst in allerletzten Augenblick abzubrechen. Der Student Harry
Daghlian hatte weniger Glück. Er kippte einen Neutronenreflektor
im falschen Augenblick und erzeugte damit für Sekundenbruchteile
einen kritischen Zustand. Die Strahlendosis war tödlich. Zwei Wochen
später starb Daghlian unter schrecklichen Qualen. Einer der beteiligten
Physiker erzählte später, die Versuche "seien damals so nahe
an der Atombombe wie irgendwie möglich gewesen, ohne in die Luft
geblasen zu werden". Es war, "als ob man einen schlafenden Drachen am
Schwanz kitzelte", und die jungen amerikanischen Physiker nannten die
Versuche einen "Heuler". Einer der leitenden Wissenschafter, Enrico Fermi,
ermahnte die Leute regelmäßig zu allerhöchster Vorsicht.
Tokaimura ist zwar keine Atombombenfabrik, aber die menschliche Schwäche
der nachlassenden Vorsicht löste trotzdem ein Unglück aus. Solange
eine gewisse Zeit kein Unfall passiert, neigen Menschen gelegentlich zur
Fahrlässigkeit. Wenn dabei spaltbares Material im Spiel ist, kann
Schlamperei zur Großkatastrophe entarten.
|
|