Religiöser Radikalismus versucht nicht nur in der Politik mitzumischen.
Mehr und mehr drängen religiöse Fundamentalisten auch in
die Wissenschaften. Sie wollen nicht etwa bei Fragen der Ethik und
Moral mitreden. Sie stellen wissenschaftliche Theorien in Frage. 1993
erließ die höchste religiöse Autorität von Saudi-Arabien
eine "Fatwa", dies entspricht etwa einer kirchlichen Enzyklika.
Darin wird erklärt, daß die Erde flach sei, weil dies so
im Koran geschrieben steht. Jeder, der glaube, daß die Erde
rund sei, würde nicht an Gott glauben und sollte bestraft werden.
Die Geschichte der religiös motivierten Wissenschaftsfeinde
des 20. Jahrhunderts begann 1925 in der Kleinstadt Dayton in Tennessee,
wo der Lehrer John Scopes vor Gericht stand. Er hatte unter Verletzung
eines Gesetzes des Bundesstaates die Evolutionstheorie des Lebens
in seinem Unterricht behandelt. Die kuriose juristische Schlacht fochten
sein Anwalt, der Bürgerrechtler Clarence Darrow, und der Gouverneur
William Jennings Bryan aus. Der Prozeß ging als der "Affenprozeß"
in die Geschichte ein und wurde mehrfach verfilmt. Am bekanntesten
wurde die Version "Inherit the wind" von 1960 mit Spencer
Tracy und Gene Kelly. Scopes wurde zu einer Geldstrafe von 100 Dollar
verurteilt. Das Urteil wurde später jedoch wieder aufgehoben.
Das letzte Anti-Evolutionsgesetz wurde erst 1968 vom amerikanischen
Supreme Court für verfassungswidrig erklärt. 1981 trat im
US-Bundesstatt Arkansas der "Act 590" in Kraft, der vorschrieb,
daß im Biologie-Unterricht die Evolutionstheorie und die Schöpfungs-"Theorie"
zu gleichen Zeitanteilen behandelt werden müssen. Andere Bundeststaaten
formulierten wegen des Drucks der wissenschaftlichen Sekte der "Kreationisten"
ähnliche Gesetze.
In einigen US-Bundesstaaten gelang es den Kreationisten, in die Biologiebücher
einen Passus hineizureklamieren, wonach die Evolutionstheorie kontrovers
diskutiert werde. Der Satz ist insoferne ein Unsinn als jede wissenschaftliche
Theorie hart diskutiert wird. Der Wettstreit der Gedanken liegt ja
im Wesen jeder freien Wissenschaft.
Vor wenigen Wochen mischte sich die US-Akademie der Wissenschaften
in den öffentlichen Streit ein und sprach ein Machtwort. Es wurde
ein "Führer für Lehrer" herausgegeben, in dem
an Hand von klaren Argumenten dargelegt wurde, daß kreationistische
Aussagen den wesentlichsten naturwissenschaftlichen Theorien widersprächen
und somit im Biologie-Unterricht an den Schulen nichts verloren hätten.
Dies ändert freilich nichts daran, daß sich die Naturwissenschaften
immer mit Angriffen auseinandersetzen werden müssen. Diese ständigen
Kontroversen haben anderseits auch zu ihrer Machtposition beigetragen.
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