Es gibt „Wissenschaften“, deren Forschungsinhalt die Angst vor der Realität ist. Dazu zählt in erster Linie der „Konstruktivismus“, von dem hier schon mehrmals die Rede war. Konstruktivisten halten unser Wissen für ein Produkt politischen Handelns. Sogar Naturgesetze und Geschlechter zählen dazu. Die Lichtgeschwindigkeit, deren Wert auf dem Dach des Bregenzer Festspielhauses zu finden ist (299.792.458 Meter pro Sekunde) oder ein beliebiges Naturgesetz wären demnach nicht die Produkte von Messungen, sondern wurden von Physikern angeblich willkürlich „konstruiert“.
Konstriktivisten finden sich heute noch vereinzelt in Sozial- und Kulturwissenschaften, also unter Psychologen, Soziologen, Politologen und verwandten Fachgebieten. Diesen Leuten war die Macht der Naturwissenschaften, von denen letzte Woche hier die Rede war, immer schon ein Dorn im Auge. Im Jargon der Postmoderne wurden die Naturwissenschaften immer wieder kritisiert, aber weniger wegen der Produkte der Atomphysik, der Gentechnik oder Industriechemie, sondern wegen ihrer vermeintlichen Dreistigkeit, Naturgesetze zu formulieren.
Vor genau 20 Jahren beschloss der New Yorker Physiker Alan Sokal, den Vertretern der „Cultural Studies“ ein faules Ei zu legen. Sokal schrieb einen Artikel und reichte ihn im Frühjahr 1996 in der für ihre postmodernen Thesen bekannten Zeitschrift „Social Text“ (Duke University Press) ein. Sokals Beitrag war im bombastischen Jargon der Sozialwissenschaften gehalten und gab vor, die Quantenphysik als bloßes Konstrukt, also als Legende, bloßstellen zu können. Sokal behauptete, dass die Naturwissenschaften samt ihrer Naturgesetze bloße „Konstrukte“ sind, was aber von den Physikern und Biologen verheimlicht wird. Sokal hatte in seinem Aufsatz groteske logische und inhaltliche Fehler eingebaut, was von den Redakteuren der Zeitschrift nicht erkannt wurde. Sie hatten verabsäumt, den Artikel einem Physiker zur Kontrolle vorzulegen. Das war ein Fehler, denn jeder durchschnittliche Student hätte den Aufsatz als Sammelsurium von Blödsinn entlarven können.
Der Artikel wurde in den Feuilletons großer Zeitungen und Magazine ernsthaft diskutiert, bis Alan Sokal in einer anderen Zeitschrift („Lingua Franca“) bekannt gab, dass es sich um eine Parodie handle. Sokal hatte die postmodernen Phrasendrescher eiskalt und weltweit mit Hilfe ihrer eigenen „Wissenschaft“ vorgeführt.
Es ist unmöglich, alles zu wissen, heutzutage schon gar nicht. Es ist aber grundsätzlich möglich, sich so viel Grundwissen anzueignen, dass damit hohles Gerede als solches erkannt werden kann. Andernfalls werden weitere Sokals postmoderne Schwätzer wiederholt bloßstellen.