Das Gleichnis ist bekannt: Auf einem See vermehren sich Seerosen. Alle
24 Stunden verdoppeln sie ihre Fläche. Eines Tages bedecken sie
die Hälfte des Sees. Wie lange dauert es, bis sie den ganzen See
zudecken? Die Antwort ist einfach: Es dauert nur einen Tag, unabhängig
davon, wie lange die Seerosen zuvor schon gewachsen sind. Allein in
den letzten 4 Tagen betrug das Wachstum über 90 Prozent der Gesamtfläche.
Das Beispiel zeigt, wie schwer sich unsere Vernunft vulgo Hausverstand
tut, wenn es darum geht, exponentielles Wachstum zu verstehen. Dies
ist auch der Grund, warum uns der Blick für komplexe ökologische
Zusammenhänge fehlt.
In den letzten Wochen und Monaten schwirrten Vorschläge herum,
wie man die drohende Klimaerwärmung mit ihren Folgen abwenden könne.
Die Vorschläge verdienen das Attribut „entzückend“,
wenn man sie mit Humor nimmt. Dabei ist die Sache alles andere als lustig.
Von einer Reduktion des Autofahrens ist da die Rede, von einem Verbot
der Glühbirnen und einem Ausbau der Atomenergie.
Die einzelnen Maßnahmen sind zwar grundsätzlich diskutabel,
aber die mangelnde menschliche Vernunft zeigt sich darin, dass die Größenordnungen
nicht einmal ansatzweise diskutiert werden. Die Menschen verheizen heute
in nicht einmal zwei Jahren so viele fossile Brennstoffe wie im ganzen
19. Jahrhundert. Und wie soll das Gegensteurn aussehen? Wir sollten
ein bisschen weniger mit dem Flugzeug fliegen? Dass pro Tag allein über
den Atlantik mehr als 2000 Flüge (oft mit Obst vom anderen Ende
der Welt) geführt werden, wird übersehen. Wir sollen etwas
weniger Auto fahren? Gleichzeitig sieht man so viele übermotorisierte
Geländewagen, dass man meinen könnte, unsere Städte hätten
sich allesamt in Schlamm- und Geröllhalden verwandelt. Die in Leserbriefspalten
und Sonntagsreden auftauchenden Vorschläge sind gut gemeint, aber
sie gleichen der Absichtserklärung eines 160 Kilogramm schweren
Zeitgenossen mit einem Bodymass-Index von 50 oder mehr, er wolle mittels
Verzicht auf ein Keks eine Schlankheitsdiät starten.
Besonders drollig ist das Argument für die Atomenergie. Der Anteil
an nuklearer Energie an der weltweiten Produktion liegt im unteren einstelligen
Prozentbereich. Auch eine Vervielfachung der Kernenergieproduktion könnte
das Klimaproblem nicht lösen, es würden sich lediglich die
Langzeitrisiken durch die rascher ansteigenden radioaktiven Abfälle
erhöhen. Fazit: Es existieren Vorschläge für eine ökologische
Absicherung der Zukunft. Vernunft ist dabei, zumindest vorläufig,
bestenfalls in Spurenelementen erkennbar. Notwendige radikale Maßnahmen
werden erst kommen, wenn die Klimawende auch in den reichen Ländern
spürbare Schmerzen bereiten wird.