Vielen jungen Menschen ist der österreichische Arzt, Biologe, Naturschützer,
Buchautor und Nobelpreisträger Konrad Lorenz kein Begriff mehr. Es
zeugt bereits von einer gewissen Allgemeinbildung, wenn man ihn mit Graugänsen
in Verbindung bringen kann. Den älteren Österreichern ist Konrad
Lorenz als weißhaariger Herr in Erinnerung, der sich mit dem Verhalten
von Gänsen und Raben beschäftigte und für die Erhaltung
der Auwälder an der Donau im Osten Österreichs kämpfte.
Bei den wissenschaftlich arbeitenden Biologen hat Lorenz einen anderen
Stellenwert. Dort gilt er zu Recht als einer der Giganten der Wissenschaft,
der in einem Atemzug mit Charles Darwin genannt werden muss.
Die Verdienste von Konrad Lorenz liegen in der vergleichenden Verhaltensforschung.
Gemeinsam mit Niko Tinbergen erarbeitete Lorenz in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts die Grundlagen zur Erforschung des Verhaltens und
der Evolution der Tiere und des Menschen. Das Konzept des deutschen Philosophen
Immanuel Kant, wonach in unserer Wahrnehmung bereits von Geburt an fertigte
Strukturen vorliegen, spielte bei Lorenz’ Theorie eine entscheidende
Rolle. Kant bezeichnete das als „a priori“. A priori (lateinisch:
was zuvor kommt) nennt man etwas, das unabhängig von der Sinneserfahrung
existiert. Im logischen Sinne ist etwas a priori, wenn seine Gültigkeit
ohne Rückgriff auf die Sinneserfahrung bewiesen werden kann. Im biologischen
Sinne ist etwas a priori, wenn es aus etwas anderem als der sinnlichen
Erfahrung stammt. Instinkte sind in diesem Sinne a priori.
Lorenz zeigte schlüssig, dass angepasste Verhaltensweisen in der
Stammesgeschichte des Lebens nicht a priori (vorher) da waren sondern
a posteriori (nach und nach) entstanden sind. Er erweiterte damit Darwins
Evolutionstheorie um angeborene Verhaltensweisen. Lorenz’ Konzepte
zur stammesgeschichtlichen Entstehung von Körperbau und Verhalten
sind inzwischen geistiges Allgemeingut in der Biologie.
Konrad Lorenz war während der Zeit des Nationalsozialismus Mitglied
der NSDAP. Der Humanist und Moralist Konrad Lorenz war zumindest anfangs
ein überzeugtes Mitglied der Nazipartei. Sein geringfügiger
Stellenwert bei den Machthabern lassen ihn aber heute als einen der vielen
Mitläufer erscheinen. Ein "Vordenker des NS-Regimes", wie
einmal behauptet wurde, war Lorenz ganz sicher nicht. Leider war auch
der große Lorenz, so wie viele kongeniale Wissenschaftler seiner
Zeit, vor diversen Fehlschlüssen nicht gefeit. So pflegte er das
Vorurteil, dass der "ethisch-moralische Verfall" der Gesellschaft
eine Folge der "Selbstdomestikation" des Zivilisationsmenschen
sei.
Konrad Zacharias Lorenz, der „Einstein der Biologie“, wie
er auch genannt wurde, wäre am 7. November 100 Jahre alt geworden.
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