Es ist schon ein Kreuz mit den Statistiken. Entweder sie werden gefälscht,
oder die Zahlen werden falsch gedeutet. Die Zahl der sekundären
Analphabeten soll ja mindestens genauso groß sein, wie diejenige
der Zeitgenossen, die mit den Grundrechnungsarten Probleme haben. Unhaltbar
wird es, wenn die aus Statistiken gewonnenen „Erkenntnisse“
für ideologisch unterlegte Politik verwendet werden.
Sehen wir uns das Beispiel mit der Bildungs-Vergleichsstudie PISA 2003
an. Die Ergebnisse lassen sich mit Hilfe eines Metermaßes darstellen.
Ein Millimeter entspricht einem PISA-Punkt. Wenn man das Resultat des
Siegers mit jenen der Länder Öster-reich und Deutschland im
Bereich der mathematischen Kompetenz vergleicht, ergibt sich folgendes
Bild: Finnland erreichte im Schnitt 544 Punkte, Österreich 506
und Deutschland 503. Nun nimmt man das Metermaß und markiert die
Positionen. Finnland liegt bei 54,4 cm, Österreich bei 50,6 cm
und Deutschland bei 50,3 cm. Es ist leicht zu erkennen, dass die wahren
Größenverhältnisse (im Bereich Mathematik) wesentlich
geringer sind als sie in der öffentlichen Diskussion dargestellt
wurden. Die statistischen Streuungen überlappen einander sogar.
Die weiteren Vergleichzahlen (Lesekompetenz, Naturwissenschaften usw.)
liegen in ähnlichen Größenordnungen.
Die kürzlich kolportierte Meldung, wonach Österreich zu wenige
Akademiker ausbilde, war deshalb ärgerlich, weil kaum jemand die
Zahlen hinterfragte. Es gibt europäische Länder, in denen
Krankenschwestern, Krankenpfleger, Sozialarbeiter, Kindergärtnerinnen,
Pflichtschullehrer und andere Berufsgruppen zu den Akademikern gezählt
werden. Auf Österreich umgerechnet bedeutete dies, dass wir hier
eine Akademikerquote von über 40 Prozent hätten. Dies wäre
ein internationaler Spitzenwert.
Österreich hat zwei verdrängte Bildungsprobleme. Erstens
ist es das im Laufe von Jahrzehnten schleichend erzeugte Bewusstsein,
dass für die Bildung nur die Schule und eventuell noch Einrichtungen
zur Erwachsenenbildung zuständig sind. Das ist zu wenig. Für
die Bildung sind Schule, Elternhaus und letztlich die gesamte Gesellschaft
zuständig. Das zweite Problem ist die schwindende Wertigkeit. Jede
Bildungspolitik ist machtlos, wenn öffentlich behauptet und geglaubt
wird, dieses oder jenes zu wissen, sei in Wahrheit nicht so wichtig,
und Bildung habe sich vorwiegend an wirtschaftlich-technischen Interessen
auszurichten. In diesem Falle wären Unterrichtsfächer wie
Musik, bildnerische Erziehung oder Geschichte überflüssig.
Wer aber glaubt, eine gute Allgemeinbildung sei entbehrlich, verzichtet
auf Lebensqualität im Kopf und lebt tatsächlich in einem Bildungsnotstand.