Besucher der Bregenzer Festspiele bewunderten in diesem Sommer das
renovierte Festspielgebäude und das originelle Kunstwerk von Gottfried
Bechtold, eine Art Henry Moore-light-Skulptur, auf dem Vorplatz. Die
einen erkannten den umgedrehten Baum, andere wiederum sahen die „Ready
Maid“, die dünne Frau als Schönheitsideal im Jahrhundert
der Ernährungsstörungen.
Für einige Verwirrung sorgte die Zahl 299792458 m/s auf dem Dach
des Festspielhauses. Diese Zahl stellt die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit
dar. Die Abkürzung „m/s“ ist die internationale Einheit
der Geschwindigkeit „Meter pro Sekunde“. Das bedeutet -
vereinfacht ausgedrückt -, dass das Licht rund 300.000 Kilometer
pro Sekunde zurücklegt. Ein ganz schönes Tempo. Ein Lichtstrahl
braucht von der Erde zum Mond etwas mehr als eine Sekunde. Von der Sonne
zur Erde benötigt das Licht etwas mehr als 8 Minuten, bis zum Ende
des Sonnensystems ungefähr 6 Stunden. Von einem Ende unserer Galaxis
zum anderen sind es schon 100.000 Jahre. Die Lichtgeschwindigkeit ist
eine so genannte Naturkonstante. Sie ist eine kosmische Basis der Natur.
Die Frage, was die Lichtgeschwindigkeit auf dem Festspielhaus zu suchen
hat, ist berechtigt. Die Aktion lässt verschiedene Interpretationen
zu. Die wichtigste scheint zu sein, dass die besseren Künstler
einen Fortschritt weder in derben Brüskierungen noch in postmodernen
Beliebigkeiten suchen, sondern in der Synthese einst getrennter Welten.
Murry Gell-Mann, der Physiker, der die Quark-Theorie entworfen hatte,
sagte einmal sinngemäß: "Es gibt Künstler und Geisteswissenschaftler,
die stolz darauf sind, wenig über Naturwissenschaft, Technologie
und Mathematik zu wissen. Das gegenteilige Phänomen ist sehr selten.
Gelegentlich wird man zwar auf einen Naturwissenschaftler treffen, der
nichts über Shakespeare weiß, aber niemals wird er darauf
auch noch stolz sein." Die Zeiten haben sich geändert. Naturwissenschaftliche
Bildung hat im Ansehen zur musischen Bildung aufgeschlossen. Es ist
keine Schande, mangelndes Wissen einzugestehen, aber stolz zu deklamieren,
etwas nicht zu wissen, ist eine freiwillig gezogene „Greencard“
ins Banausentum.
Die Bregenzer Festspiele sind eine Art Taktgeber der Moderne geworden,
ohne in einen simplen Provokationismus zu verfallen. Naturkonstanten
können dabei Symbole dieses neuen und interessanten Trends sein.
Sollten auch andere Künstler Lust auf dekorative Zahlen verspüren,
so gibt es noch viele Möglichkeiten: Die Gravitationskonstante,
das Plancksche Wirkungsquantum, die Ruhemasse des Protons und die atomare
Feinstrukturkonstante – um nur einige wenige Beispiele zu nennen.