Welt der Naturwissenschaften
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DER TRAGISCHE SIEG DER VIBRIONEN |
Es war einmal ein Bakterium namens Vibrio comma. Es lebte in einem Brunnen einer Stadt im nahen Osten. Temperatur und Nährstoffgehalt waren schlecht, sodaß Vibrio keinerlei Fortpflanzungsgelüste verspürte. Ein Tourist hatte Durst und nahm einen Schluck Brunnenwasser. Den Rat, Brunnenwasser vor dem Genuß abzukochen, hatte der Urlauber nicht beachtet. Vibrio comma fühlte sich in der neuen Welt des Urlaubers wohl. Temperatur und Nährstoffgehalt waren nun passend, und Vibrio comma beschloß, sich zu vermehren. Also nahm der Herr eine Rippe aus seiner Seite und formte ein zweites Vibrio comma. "Seid fruchtbar und mehret euch", sagte der Herr der Vibrionen, "und macht euch die Erde untertan!" Die Vibrionen folgten diesem Gebot. Alle zwanzig Minuten verdoppelten sie ihre Zahl. Das ist üblich bei Bakterien, wenn sie sich wohlfühlen, denn sie beherrschen das Kunststück des raschen Wachstums. Bis Mitternacht waren sie auf Fünftausend angewachsen. Um 6 Uhr morgen hatten sie die Zahl von einigen Millionen erreicht. Das Immunsystem des Urlaubers schien etwas zu merken. Zunächst stürzten sich weiße Blutkörperchen auf die Vibrionen und fraßen viele von ihnen. Später kamen die Antikörper, die sich ebenfalls auf die Vibrionen stürzten. Sie verklebten diese und machten sie zum Futter für Freßzellen. Doch es nützte nichts, die Vermehrungskraft der Vibrionen siegte, und um acht Uhr morgens bevölkerten zwölf Milliarden Vibrionen ihre Welt. Ihre Fortpflanzungswut kannte keine Grenzen. Am Nachmittag bot die Welt der Vibrionen - unser Urlaubsreisender - ein Bild des Jammers. Er hatte Bauchschmerzen und wand sich in Krämpfen. Die Vibrionen, inzwischen waren es unzählige Milliarden geworden, lebten nun dicht gedrängt. Die ersten warnenden Stimmen wurden laut. Der Generalsekretär Vibrio Primus meinte, man müsse die Fortpflanzungsrate senken. Man dürfe nicht glauben, daß die Welt unbegrenzt aufnahmefähig sei. Wieder ein anderer, Vibrio ökonomikus, sah eine Lösung des Problems im stetigen Wirtschaftswachstum. Und so diskutierte man nutzlos dahin. Der Urlauber lag auf einem Bett in einem kleinen Krankenhaus. Ärzte verabreichten Infusionen und Antibiotica und verordneten Bettruhe. Nun merkten sogar die Banausen unter den Vibrionen, daß man die Ausbeutung übertrieben hatte. Sie beteten zum Herrn, er möge die Welt nicht untergehen lassen. Doch es war schon zu spät. Der Tourist starb spät abends an Cholera. Mit ihm starben viele Milliarden Vibrionen. Die Gattung Vibrio comma hatte auf tragische Weise gesiegt. Sie hatte sich ihre Welt untertan gemacht. |
Die Fruchtbarkeitskrise
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© 1998 Rudolf Öller, Bregenz |
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