Die Hälfte der Bürger in der EU glaubt nicht, dass es eine natürliche Radioaktivität gibt, obwohl diese bereits 1896 in Paris entdeckt wurde. Etwas weniger als die Hälfte der Menschen glauben, dass man radioaktiv verseuchtes Wasser durch Abkochen reinigen könne, was natürlich unmöglich funktionieren kann. Jeder zweite Bürger hält LASER irrtümlich für gebündelte Schallwellen. In Wahrheit handelt es sich um Licht. Auch unsichtbare Infrarot-Laserstrahlen sind Licht.
Meinolf Dierkes und Claudia von Grote vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sind in ihrem Buch "Between Understanding and Trust" (Harwood Academic Publishers) der Frage nachgegangen, warum Bürger und Verbraucher den Forschern so wenig glauben. Die Erkenntnisse sind ernüchternd. Forscher und Wissenschaftler waren früher einmal die Priester des Objektiven und der Problemlösung. Heute sind sich die Sozialforscher darüber einig, dass die Eliten aus Naturwissenschaft und Technik in unserer Gesellschaft keine moralisch führende Rolle übernehmen könnten. Immer mehr Konsumprodukte sind aber Wissensprodukte. Das ist ein Problem, denn man kauft nicht, was man für ungesund oder gefährlich hält. Seit 1947 registriert das renommierte Institut Allensbach die Haltung der Deutschen zu Wissenschaft und Forschung. Die ehemalige Chefin, Frau Elisabeth Noelle (früher Noelle-Neumann) wies einen "dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust wissenschaftlicher Institutionen und Autoritäten" bei der Bevölkerung nach.
In einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 1996 gingen die Demoskopen der Frage nach, welche der führenden Forschungsdisziplinen (Biochemie, Gentechnik, Hochenergiephysik, usw.) förderungswürdig seien und in welchen Gebieten ein genereller Forschungsstopp notwendig wäre. Mehr als die Hälfte der angebotenen Themen war den Befragten so verdächtig, dass sie ein sofortiges Verbot forderten. Der Witz dabei war, dass in keiner Forschungsdisziplin, die von den Befragten sofort untersagt worden wären, die Interviewten auch nur einfachstes Grundwissen hatten. Laut "Wissenschaftsbarometer 2015" hat sich an der Einstellung der Deutschen (und auch der Österreicher) bis heute kaum etwas geändert. Fast die Hälfte der braven Bürger glaubt zudem, dass die Wissenschaft auf die Politik einen zu großen Einfluss hat und daher eingeschränkt werden muss.
Wer in der Lage ist, eine Forschungsdisziplin zu beurteilen, kann auch ihre damit verbundenen Risiken abschätzen. Das in diesem Zusammenhang erhoffte Resultat war und ist seit dem Zeitalter der Aufklärung der mündige Bürger. Wie es scheint, war diese Hoffnung bei mindestens der Hälfte der Bevölkerung vergeblich.