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30. Dezember 2024


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BETRUG (3): N-STRAHLEN


Um die Wende zum 20. Jahrhundert herrschte so etwas wie Strahlenhysterie. Die Entdeckung unsichtbarer Strahlen hatte die Physiker in Aufregung versetzt.  Konrad Röntgen hatte 1895 energiereiche Strahlen entdeckt, sein französischer Kollege Henri Becquerel nur ein Jahr später die Radioaktivität, und Max Planck hatte eine revolutionäre Energieformel für Strahlen vorgelegt. Gleichzeitig war es dem Ehepaar Marie und Pierre Curie gelungen, radioaktive Elemente chemisch zu isolieren. 

Es konnte also nicht ausbleiben, dass sich Physiker auf die Suche nach weiteren unentdeckten Strahlen machten, denen schon im Vorhinein sensationelle Eigenschaften angedichtet wurden. 1903 ging Professor René Blondlot an der Universität Nancy der Frage nach, ob man Röntgenstrahlen genauso polarisieren könne wie Lichtstrahlen. Als ein Strahl zufällig auf eine Gasflamme traf, glaubte Blondlot, eine Aufhellung zu bemerken. Als der Effekt auch auf einem Kalziumsulfidschirm zu sehen war, veröffentlichte Blondlot mehrere Arbeiten, in denen er die Entdeckung neuer Strahlen bekannt gab. Er nannte sie nach Nancy „N-Strahlen“. 

Kurz darauf erschienen weitere Arbeiten, in denen französische Physiker behaupteten, die N-Strahlen ebenfalls nachgewiesen zu haben. Das ging eine Zeitlang so weiter. Angeblich sandten fast alle Metalle N-Strahlen aus. Irgendwann wurden die Deutschen auf die geheimnisvollen N-Strahlen aufmerksam. Kaiser Wilhelm II, der von allem begeistert war, was nach Fortschritt roch, beauftragte den Physiker Heinrich Rubens, die N-Strahlen genauer zu untersuchen. Rubens wurde aber nicht fündig, und der Kaiser war deswegen verärgert. Es konnte nicht geduldet werden, dass die Franzosen an etwas arbeiteten, was die Deutschen nicht einmal nachweisen konnten.

1905 besuchte Professor Robert Wood von der amerikanischen John Hopkins Universität das Labor von Blondlot. Wood, der nicht nur ein erfahrener Physiker, sondern ein gewitzter Hobby-Magier war, ließ sich die Versuche zum Nachweis der N-Strahlen vorführen. Im Halbdunkel des Labors veränderte Wood heimlich und mit Hilfe flinker Manipulationen einige Versuchsanordnungen. Sinnvolle Experimente wurden dadurch unmöglich gemacht. Trotzdem verliefen die Tests „erfolgreich“.

Professor Wood war es mit Hilfe simpler Tricks gelungen, die vermeintliche Entdeckung Blondlots und seiner Freunde als Selbsttäuschungen zu entlarven. Blondlots tragische Geschichte ist kein Einzelfall. Erst nach genauerer Prüfung erwies sich manche „Entdeckung“ als Luftschloss. Es zählt zu den Schwächen unserer sensationsgierigen Öffentlichkeit, alles Neue vorschnell als große Errungenschaft zu werten.




© 2016 Rudolf Öller, Bregenz



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