Das „Westlicht“ ist eine im Sommer 2001 gegründete Dauerausstellung für Fotofreunde. Das nicht nur für Profi- und Amateurfotografen sehenswerte Westlicht liegt in der Westbahnstraße in Wien und ist nach eigener Definition „der erste große Schauplatz für Fotografie in Österreich, gegründet aus einer Privatinitiative von Liebhabern und Kamerasammlern“. Bis 10. Februar 2013 bietet Westlicht die Ausstellung „Magnum 1947 – 1987“. „Magnum Photos“ ist eine 1947 gegründete internationale Vereinigung unabhängiger Fotografen, die „als Berichterstatter, Kommentatoren und Poeten mit der Kamera“ arbeiten. Die Ausstellung bietet nicht nur eine Fülle von außergewöhnlichen Bildern, sondern auch interessante Einsichten.
Zwei Sätze sind mir besonders aufgefallen. Der ehemalige Präsident von Magnum Photos, Elliott Erwitt (* 1928), sagte „Keine Technik der Welt kompensiert die Unfähigkeit zu sehen“, und der österreichisch-amerikanische Magnumfotograf Ernst Haas (1921 – 1986) meinte „Es interessiert mich nicht, neue Dinge zu fotografieren. Ich will die Dinge neu sehen“.
Es ist noch gar nicht so lange her, da glaubten „Bildungsexperten“, dass man Schulen mit Computern fluten und den lieben Kleinen das „Recherchieren“ im Internet beibringen müsse, und schon würde eine Generation von Hochgebildeten heranwachsen. Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass Jugendliche durch Dauersitzungen vor dem PC eher in eine digitale Demenz verfallen, kam das Schlagwort der „Kompetenz“ auf, was in gewisser Weise einen Fortschritt bedeutet, aber nicht einmal die halbe pädagogische Wahrheit ist. Auf die wichtige Schule des Sehen, Hörens und Begreifens (im Wortsinne) wird immer noch vergessen.
Der österreichische Nobelpreisträger Konrad Lorenz sagte einmal sinngemäß, er sei kein guter Analytiker, aber er könne besser sehen als andere. Er meinte damit im Sinne von Ernst Haas, dass er die Dinge anders sieht. Lorenz blickte tiefer und begründete damit die moderne vergleichende Verhaltensforschung. Biografien und Autobiografien großer Wissenschaftler und Künstler bringen es auf den Punkt. Die großen Frauen und Männer in Kunst und Wissenschaft hatten ausnahmslos eine gemeinsame Eigenschaft, es ist die Fähigkeit des Sehens. Viele Menschen erkennen ein Bild erst dann, wenn es fertig ist, aber ein großer Wissenschaftler sieht bereits das fertige Bild, wenn er nur drei oder vier Puzzlestücke in Händen hält.
Die Schule des Sehens beschränkt sich nicht auf Bilder. Es ist eine Schule der Realität. Noch nie hat jemand nur mit Hilfe des Internets musizieren, malen, kochen oder eislaufen gelernt. Der obige Satz von Elliott Erwitt sollte daher ein Teil der Präambel aller Schulgesetze sein.