Welt der Naturwissenschaften
(Scientific Medley)

 Jahresübersicht 2011

Die Volksbegeisterung in unsern letzten Freiheitskriegen ward wie die Jungfrau von Orleans unter ihrer eigenen Fahne begraben.
(Wolfgang Menzel)


28. März 2024


zurück Übersicht weiter

DER UNSICHTBARE GORILLA


Die Vergewaltigungsvorwürfe und –verfahren, in die Politiker und Prominente involviert sind, haben in letzter Zeit Aufmerksamkeit erregt. Die Frage, die im Umfeld der Ermittelungsverfahren auftauchen, betreffen deren Länge: Warum dauert das alles so lange? Es dauert so lange, weil die Juristen im Laufe des letzten Jahrzehnts vorsichtiger geworden sind, und das zu Recht. Schuld hat wieder einmal die Wissenschaft, die nachgewiesen hat, dass „absolut glaubwürdige“ und „hundertprozentig authentische“ Zeugnisse entsetzlich fehleranfällig sein können.

Einen von vielen bekannten Belegen lieferte Professor Daniel Simmons von der University of Illinois. Er filmte eine Gruppe junger Menschen, die im Kreis standen und sich gegenseitig Bälle zuwarfen, wobei die einzelnen Personen die Plätze wechselten. Der Film wurde später Versuchspersonen gezeigt. Davor wurde gesagt, dass die Beobachtungsgabe getestet werde, die Zuseher sollten feststellen, wie oft wie viele Bälle geworfen wurden. Nach dem Test sollten die Zuseher aufschreiben, was sie gesehen hatten. Nachdem der Versuchsleiter die Zettel eingesammelt hatte, ließ er die Katze aus dem Sack. Er fragte: „Wer hat den Gorilla gesehen?“ Fast alle Zuseher machten ein verblüfftes Gesicht, sie hätten eindringlich beteuert, dass kein Gorilla zu sehen war. Tatsächlich lief ein Mann im Gorillakostüm zehn Sekunden lang mitten durch die Szene, blieb stehen, blickte in die Kamera, fuchtelte mit den Armen und verschwand wieder. Die überwiegende Mehrheit der Versuchspersonen würde vor Gericht unter Eid aussagen, dass da kein Gorilla zu sehen war. Viele ähnliche Untersuchungen beweisen, dass Berichte von Augenzeugen regelmäßig mit Vorsicht zu bewerten sind.

Noch unheimlicher war ein anderer Fall. 1995 erschien im Verlag Suhrkamp ein Buch, in dem ein gewisser Binjamin Wilkomirski unter Berufung auf sein fotografisches Erinnerungsvermögen seine Jahre als Kind in den Konzentrationslagern Majdanek und Birkenau beschrieb. Wilkomirski wurde mit Literaturpreisen überhäuft. Im Washingtoner Holocaust-Museum lag auf sechs Videokassetten sogar ein „oral history-Interview“ (Archivnummer RG-50.030*0385). Doch dann platzte die Bombe. Die Schweizer „Weltwoche“ schrieb, dass Wilkomirski in Wahrheit Bruno Dösekker hieß und nie ein Konzentrationslager von innen gesehen hatte. Die weltweite Betroffenheit war groß. Des Rätsels Lösung war so simpel wie beklemmend. Herrn Dösekker war von Psychotherapeuten im Rahmen mehrerer Sitzungen so lange und nachhaltig falsche Erinnerungen implantiert worden, bis der unter Depressionen leidende Patient von seiner erfundenen Vergangenheit absolut überzeugt war.




© 2011 Rudolf Öller, Bregenz


Frontpage Übersicht Sitemap Joker Kontakt und Videos
1996 1997 1998 1999 2000
2001 2002 2003 2004 2005
2006 2007 2008 2009 2010
2011 2012 2013 2014 2015
2016 2017 2018 2019 2020
2021 2022 2023 2024

Helden der Wissenschaft:
Hermann von Helmholtz
(1821-1894)
war Arzt, Physiologe, Physiker, Philosoph, kurzum ein Universalgelehrter, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Er war in der Medizin, in der Physik und in der Biologie zu Hause. Respekt!

Silvia liest

Rudolf Oeller:

"Theke, Antitheke, Syntheke"
(Thriller über eine tragikomische Stammtischrunde auf dem Weg in den Tod)
Verlag novum, Zürich. ISBN 978-3-99130-025-0

"Wir waren eine großartige Bande von Stammtischbrüdern an der deutsch-österreichischen Grenze, auch zwei Stammtischschwestern waren dabei. Wir pfiffen auf alle Corona-Bestimmungen und trafen uns an jedem Freitag – eine verschworene Truppe, fast schon ein Dream Team. Drink Team trifft es allerdings besser. Voll Hoffnung starteten wir ins Coronajahr 2020, am Ende wurde es eine teils fröhliche, teils depressive Reise in den kollektiven Tod."

Das Buch ist bei Amazon, bei anderen Online-Händlern, beim Verlag und auch im Buchhandel erhältlich.

Interview zum Buch