Niemand kann so recht sagen, was das Wort „Bildungsgerechtigkeit“
bedeutet, aber es klingt gut und wird daher nicht weiter hinterfragt.
Das ist ein Fehler, denn jede ernsthafte Debatte über diese österreichische
Wortschöpfung würde zeigen, dass diese Bildungsgerechtigkeit
gar nicht existiert, und das hat absolut nichts damit zu tun, dass es
in Österreich nur eine vierjährige Gesamtschule gibt –
unsere Volksschule.
Man sollte meinen, dass Österreichs Volksschulen annähernd
gleiches Niveau zeigen, aber das ist nicht der Fall. Zwei internationale
Studien beweisen das. TIMSS 2007 ermittelte die mathematischen Fähigkeiten
und PIRLS 2006 die Kompetenzen im Lesen bei den Neun- bis Zehnjährigen.
Die Unterschiede innerhalb Österreichs erwiesen sich dabei als
so gravierend, dass sich das Unterrichtsministerium bis heute weigert,
Details zu veröffentlichen. Eine parlamentarische Anfrage betreffend
die enormen Leistungsunterschiede zwischen einzelnen Volksschulen, die
am 17. März 2010 eingereicht worden war, wurde vom Ministerium
nicht beantwortet. Ein entsprechendes ministerielles Schreiben vom 17.
Mai 2010 enthält nur leere Floskeln.
Bei den höheren Schulen gibt es ebenfalls enorme regionale Unterschiede.
Wären die Gymnasien von Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck stellvertretend
für Österreich bei den PISA-Tests angetreten, hätte unser
Land jedes Mal einen „Stockerlplatz“ erobert. Österreichs
mittelmäßiges Ergebnis haben wir einer bestimmten Region
zu verdanken, was aus politischen Gründen aber tabuisiert wird.
Schlimm ist die Situation unserer Universitäten. In den aktuellen
„Times Higher Education World University Rankings“ scheinen
unter den weltweit besten Hochschulen mit den Universitäten Innsbruck
und Wien zwei heimische Hochschulen gerade noch unter den ersten zweihundert
auf. Ländervergleiche zeigen die USA und Großbritannien wegen
ihrer Eliteuniversitäten auf den Plätzen eins und zwei. Deutschland
belegt bereits den dritten Platz, Österreich liegt hinter der Türkei
auf Platz 21. Gründe gibt es viele für diese Blamage. In Deutschland
werden beispielsweise zehn Psychologiestudenten von einer Lehrperson
betreut, in Österreich ist das Verhältnis etwa eins zu hundert.
Ein bisher zu wenig beachtetes Detail im Bereich der österreichischen
Bildungsungerechtigkeit liegt auch in der mangelnden Aufklärung.
Während die anspruchsvollen MINT-Fächer (Mathematik, Informatik,
Naturwissenschaften, Technik) später ein gutes Einkommen versprechen,
sind die beliebten P-Fächer (Pädagogik, Psychologie, Politologie,
Publizistik) auf den Arbeitsmärkten nur Federgewichte.