Das Orakel von Delphi ist allgemein bekannt. Es war eine Pilgerstätte
im antiken Griechenland, zu der Politiker, Künstler und einfache
Leute aus dem gesamten Mittelmeerraum kamen, um sich die Zukunft voraussagen
zu lassen. Da die Priester von Delphi auf diese Weise zu Informationen
kamen, gelang es ihnen manchmal, richtige Prognosen zu erstellen.
In der Neuzeit haben Japaner und Amerikaner das Delphi-Prinzip übernommen
und in den Siebzigerjahren erstmals angewendet. Einer großen Zahl
von Wissenschaftlern werden in einem ausgeklügelten mehrstufigen
Verfahren hunderte Fragen über Entwicklungen in der Zukunft gestellt.
Entscheidend daran ist, dass einzelne Wissenschaftler irren können,
dass die Trefferquote im Team aber relativ hoch ist. 1995 erschien die
erste große deutsche Delphi-Studie. Über dreitausend Vertreter
aus Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlichem Dienst waren befragt
worden. Neben der Wirtschaft haben auch Vertreter der Wissenschaft und
Politik ein Interesse an Delphi-Prognosen, weil man wissen will, wo
es sich lohnt zu investieren, und welche Entwicklungen bald einer gesetzlichen
Regelung zugeführt werden sollten.
Sieht man sich die Vorhersagen der fünfzehn Jahre alten Studie
genauer an, so stellt man fest, dass die klugen Leute der Neunzigerjahre
im Gegensatz zu den Astrologen und ihren unsoliden Vettern, den Analysten
der Banken, nicht oder nur geringfügig daneben lagen. Die Delphi-Studie
von 1995 sagte beispielsweise voraus, dass man Vulkanausbrüche
bald einige Tage zuvor erkennen würde. Das hat sich als richtig
erwiesen. Weiters wurde für 2005 eine sichere Früherkennung
von Krebs erwartet. Für einige Krebsarten, wie etwa den Dickdarmkrebs,
gilt das tatsächlich, leider jedoch nicht für alle Krebserkrankungen.
Weiters wurden Medikamente gegen Aids angekündigt, ohne dass Aids
tatsächlich heilbar wäre. Auch das hat sich als richtig herausgestellt.
Erstaunlich ist, dass damals, als noch kaum jemand wusste, was das Internet
ist, bereits verstärkt Maßnahmen gegen Hacker und Viren gefordert
wurden. Bei den Klimaprognosen herrschte schon vor fünfzehn Jahren
große Skepsis. Eine Reduktion der Kohlendioxid-Emission sei nicht
vor 2020 möglich. Nicht alle Prognosen waren richtig, aber die
Delphi-Methode hat sich insgesamt als deutlich besser erwiesen als jede
Computeranalyse.
Es ist einleuchtend, dass keine Delphi-Studie die Folgen menschlicher
Schwächen vorhersagen kann. So ist die Habgier der Menschen allgemein
bekannt, dass diese Gier, und zwar nicht nur die Gier der Banker, sondern
auch die der kleinen Geldanleger, in eine Weltwirtschaftskrise münden
würden, konnte niemand voraussagen.